Am Himmel, tote Türken

Tausende türkischer Muslime in Deutschland werden nach ihrem Tod in die Heimat überführt und dort bestattet. Wer wickelt die letzte Reise ab? Ich habe den Mann der letzten Stunde einen Tag lang begleitet.

Man sieht ihm nicht an, dass er ein religiöser Gelehrter des Islam ist. Er trägt keinen Bart, auch keinen dicken Ring aus Mekka, und er reicht Frauen die Hand bei der Begrüßung. Wenn er aus seinem Bestattungswagen steigt, wirkt er wie ein selbstbewusster Geschäftsmann, mit markanten Augenbrauen und aufgeschlossener Miene. Mehmet Doğan ist Bestattungsbeauftragter bei der Ditib, der Türkisch- Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V.


Stirbt ein Türke in München, klingelt Doğan's Handy.  24 Stunden ist er abrufbereit und arbeitet , wenn es sein muss, ohne Pause durch. „Ich muss zusehen, dass ich die Toten rechtzeitig auf den Flieger kriege“, sagt der Bestattungsbeauftragte und erklärt weiter: „In unserer Religion gelten Tote nun mal als Reisende. Im Jenseits wartet man bereits auf sie“.

Bis auf zehn wurden letztes Jahr alle verstorbenen Türken in ihre Heimat überführt. Das waren 2600 Fälle, die allein die Ditib organisiert hat. Da bleibt wenig Zeit für eine ausgedehnte Trauerzeremonie in Deutschland. „Es sind drei Dinge, in denen der islamische Prophet Mohammed Eile geboten hat“, sagt er und zählt dabei von seinem kleinen Finger bis zu seinem Mittelfinger einzeln ab: „Beim Verzehr von zubereiteten Mahlzeiten, bei der Vermählung heiratsfähiger Kinder und bei der Bestattung der Verstorbenen“.

Seit vier Jahren ist Mehmet Doğan nun als Bestattungsbeauftragter tätig. „Hodscham“, mein Lehrer, begrüßen ihn die Moscheegänger, wenn er hereintritt. Er verbreitet eine fröhliche Stimmung, wenn es nicht unmittelbar einen Todesfall gab. Einige Männer klopfen ihm auf die Schulter und schauen ihn verunsichert an. Sie wissen, dass es wahrscheinlich Mehmet Doğan sein wird, der irgendwann mal in ihre Wohnung kommt, um ihre leblosen Körper zu holen.

„Sehen sie sich die Menschen mal an. Die meisten hier sind schon über 60“, sagt der 48-Jährige ein wenig bedrückt, so, als wüsste er um das Schicksal der Männer. Im nächsten Moment lacht er auf und sagt: "Sie alle wünschen sich in dem Dorf begraben zu werden, wo sie geboren und aufgewachsen sind, obwohl sie über die Hälfte ihres Lebens hier in Deutschland verbracht haben!". Er presst sein Teeglas an die Lippen, schlürft hastig den heißen Tee runter und macht sich auf den Weg.

Die Waschhalle für die Leichen befindet sich im unteren Betonbunker der Hacı Bayram Moschee in Pasing. Seit 1992 hat sich die Ditib die Halle gemietet. Der Zugang  für den Bestattungswagen führt über die Garage in den Untergrund. Asiye Ersoy, die Frau des Vorstandsvorsitzenden der Hacı Bayram Moschee ist die Verantwortliche, wenn es um die Waschung von weiblichen Verstorbenen geht. Zusammen mit einer Assistentin wäscht sie die Verstorbenen und wickelt sie in ein weißes Leinentuch, das sogenannte „Kefen“.

Mehmet Doğan hat die Türen seines Bestattungswagens bereits geöffnet und wartet auf das Ende der Waschung, darauf, den Sarg mit der Leiche endlich an den Flughafen zu bringen. Wenn er im Wagen sitzt, mit dem Sarg hinten drin, flüstert er die gesamte Fahrt über Suren aus dem Koran. El-Fatiha, Sübhaneke, Allahümme salli, Allahümme barik. Er betet für die Verstorbenen und für die Lebenden, auch für sich und seine Familie betet er. Am Flughafen gibt er den Sarg ab und schreitet langsam durch die Hektik der Reisenden zurück zu seinem Wagen. Dann sieht er ein Weile dabei zu, wie die Flieger allmählich zwischen den weißen Wolken verschwinden.



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