Schulen erhalten Diskriminierungspreis!

Was wir schon immer wussten, aber nie wagten zu sagen: Schüler_innen mit Migrationshintergrund werden benachteiligt.

Die Wissenschaftler Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke haben es bewiesen. In ihrer Studie “Institutionelle Diskriminierung - Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule” [1] kommen sie zu dem klaren Ergebnis, dass die Organisation der Schulen in Deutschland einen nicht unwesentlichen Teil der Verantwortung dafür tragen, Schüler mit Migrationshintergrund zu benachteiligen, ähnlich wie es noch vor wenigen Jahren in Deutschland auch bei der institutionellen Diskriminierung und Benachteiligung von Mädchen gegenüber Jungen in deutschen Schulen der Fall war. 

“Von heute aus betrachtet, wird man sich schnell einig sein darüber, dass die Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen im Bildungssystem, bis in die sechziger Jahre noch ein Verhältnis der Geschlechter von zwei zu eins auf den Gymnasien hervorbrachte, nicht dadurch behoben worden ist, dass Defizite diagnostiziert und die Mädchen individuell gefördert und in Sonderkursen und durch intensive nachmittagliche Betreuung und Hausaufgebenhilfe kompensatorisch auf ihren heutigen Schulerfolg vorbereitet worden wären. Erreicht wurde die Veränderung der Vältnisse nicht mit Pädagogik, sondern durch eine Politisierung der Diskussion über Ungleichheit und Ungleichbehandlung, in deren Folge es zu einer Reorganisation der Struktur des Bildungsangebots für Mädchen, einer Änderung der Selektionspraktiken in den Schulen und einer Delegitimation von Begründungshaushalten kam, die bis dahin die Entscheidungen gültig machten.

Migrantenkinder nehmen heute als ganze Bevölkerungsgruppe die schlechten Chancen des dreigliederigen Schulsystems wahr. [...] Spektakulärer Beleg ist die große Differenz aller wichtigen Abschlußquoten für die deutschen und die nicht-deutschen Schülergruppen. [...]

Man kann daraus schließen, dass sich die bisher fast durchgängig verfolgte Strategie erschöpft hat, die Bildungsungleichheit entweder bei den benachteiligten Schülern selbst durch Förderung zu kurieren, oder zur Vermeidung von Diskriminierung beim Bewußtsein ihrer LehrerInnen durch Aus- und Fortbildung anzusetzen. Sie übersieht die Kräfteverhältnisse in der Rationalität und Eigenlogik der Entscheidungspraxis. [...] Erst wenn sich die Mitgliedschaftsbedingungen der Organisation ändern, wird wich auch sein Denken und Begründen umstellen können.”

“Die genaue Analyse der Mechanismen der Diskriminierung in einzelnen Schulen sollte auf Möglichkeiten der Intervention aufmerksam machen. Dazu gehört es erstens, die Wahrnehmung der beteiligten Entscheider auf die Ergebnisse und Folgen ihrer Praxis zu lenken. ... Die zweite Ebene betrifft die rechtlichen Bestimmungen. Man muss die derzeit noch gegebenen Ungleichheiten in Erlassen und Verwaltungsvorschriften genau untersuchen ... Auf lokaler Ebene kommt drittens der Schulentwicklungsplanung in bezug auf die Herstellung von Wahlfreiheit und Chancengleichheit erklärtermaßen große Bedeutung zu. ... Auf kommunaler Ebene ließe sich viertens schließlich gerade im Zuge der Autonomisierung und damit verbundenen Evaluationsdebatte ein Beobachtungs- bzw. Monitoring System installieren, mit dem regelmäßig die Bildungsbeteiligungsdaten verglichen werden können.

“Alle diese Maßnahmen hätten darauf zu zielen, jenes latente Selbstverständnis, das wir in den Äußerungen der befragten SchulleiterInnen und LehrerInnen angetroffen haben, dass man für die Probleme der Migranten eigentlich nicht zuständig sei, umzudrehen. Dann ginge es um die Vorstellung, dass gerade die Schule sich der Herausforderung der Migration stellen und ein prominentes Instrument der Gesellschaft sein kann, Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung aufzugreifen und zu bearbeiten.”



[1]  Mechtild Gomolla/Frank-Olaf Radtke: Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Opladen: Leske+Budrich, 2010 (2002).

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