Teeturm - Çay Kulesi. Installation in der Artothek

 



 

Lasst uns also gemeinsam mehr Çay auf den Straßen trinken,  frisch gebrühten Schwarztee in kleinen Gläsern!“

 

An vielen Orten der Kunst, der Kultur, an denen Bilder, Geschichten und Narrative produziert werden, sind manche Perspektiven unterrepräsentiert.“

 

 

 

 

 

Tee Turm / Tea Tower / Çay Kulesi
The act of drinking tea is the highest form of art, IV

Artothek & Bildersaal – ein Kunstraum der Stadt München, Rosental 16
19. März bis 9. April 2022

 

Vom 19. März bis 9. April 2022 zeigen Tunay & Tuğba Önder ihre Installation Tee Turm / Tea Tower / Çay Kulesi im städtischen Kunstraum Artothek & Bildersaal. Das Projekt ist eine Fortsetzung der dreiteiligen Videoperformance „the act of drinking tea is the highest form of art, I-III“, die sie 2021 in der Artothek realisiert haben. In dieser Reihe setzen sie sich mit den Leerstellen im Kunst- und Kulturbereich und mit den Zugangsbarrieren an Orte der Kunst- und Wissensproduktion auseinander. Auch die fehlende Sichtbarkeit bestimmter kultureller Praktiken im Stadtbild ist Thema. Dabei wird der Bestand der Artothek genauso befragt wie das, was die Stadtkultur seiner Stadtgesellschaft anbietet. Die Artothek beispielsweise ist der städtische Kunstverleih. Hier können originale Kunstwerke von Münchner Künstler*innen für zu Hause oder den Arbeitsplatz ausgeliehen werden.

Doch wer frequentiert diese öffentlichen Räume? Wer kommt in den Genuss der gemeinschaftlichen Ressourcen? Wer wird adressiert, wer fühlt sich angesprochen und eingeladen?

Diesen Fragen gehen Tunay & Tuğba Önder in ihrer Serie „the act of drinking tea is the highest form of art“ nach.


Ein Projekt im Rahmen der „ Internationalen Wochen gegen Rassismus“. Info: www.muenchen.de/artothek und www.muenchen.de/gegen-rassismus


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Im Gespräch:
Tunay & Tuğba Önder (t&t) und Stephanie Lyakine-Schönweitz (sls), Artothek & Bildersaal.


sls: Tunay und Tuğba, welche Bedeutung hat der Tee-Turm in eurer aktuellen Installation?

t&t: Wir beschäftigen uns seit Längerem mit der Kunst des Tee-Trinkens als Teil der öffentlichen Kultur. Wenn wir sagen, wir leben in einer Migrationsgesellschaft, dann wollen wir das auch in der Stadtkultur sehen. Das Trinken von Schwarztee aus diesen kleinen Gläsern gehört in vielen Regionen der Welt zum alltäglichen Leben – privat wie öffentlich. Nun sind so viele Menschen aus teetrinkenden Regionen hier in München sesshaft und pflegen die Kultur des Tee-Trinkens in ihren privaten Räumen. So viele Generationen verbinden damit unzählige Momente des gesellschaftlichen Zusammenseins. Sie teilen Erinnerungen an die Teebuden aus vielen Regionen der Welt, die manchmal nur aus vier bis fünf Hockern in Passagen oder Seitengassen bestehen. Sie sind kleine Oasen der Geselligkeit. Dabei kommt die Frage auf, warum sich diese Teekultur hierzulande so gut wie gar nicht im öffentlichen Raum etablieren konnte, obwohl sie so vielen Stadtbewohner*innen etwas bedeutet. Wir stellen fest, dass wir einen Großteil unseres Lebens auf so einen alltäglichen und dennoch essenziellen Raum verzichten müssen. Das ist eine Leerstelle im Stadtbild.

Diese ungestillte Sehnsucht führt den Blick auf die Passage vor der Artothek im Rosental. In Istanbul, Jerusalem oder Damaskus wäre hier ganz gewiss eine kleine Tee-Station, warum nicht auch in München? Wo, wenn nicht hier, sollte die Kunst des Tee-Trinkens kultiviert werden? Irgendwer muss ja das kulturelle Erbe der postmigrantischen Gesellschaft lebendig halten. Zwei, drei Hocker, ein Teestand – und schon werden die schillernden Facetten der Stadtgesellschaft besser zu Tage treten. Ist es nicht das, was wir alle wollen? Eben.

Lasst uns also gemeinsam mehr Çay auf den Straßen trinken, frisch gebrühten Schwarztee in kleinen Gläsern! Der Tee-Turm ist ein Symbol für unsere Sehnsucht nach Teebuden im urbanen Raum und soll zum Çay-Trinken verführen.

sls: Was konkret passiert zum Start des Projekts am 19. März 2022 in der Artothek?

t&t: Wir laden im Zeitraum von 11 bis 15 Uhr in die Artothek ein, um gemeinsam den ersten Münchner Tee-Turm in einer Zeremonie einzuweihen. Die Gäste haben dann die Gelegenheit, bei frisch gebrühtem Çay aus kleinen bauchigen Teegläsern die Kunst des Tee-Trinkens in München in der Passage vor der Artothek offensiv zu kultivieren. Zudem ist im Ausleihraum der Artothek unsere dreiteilige Videoarbeit zu sehen. Einen Teil daraus werden wir im Schaufenster der Artothek live wiederholen. Bis zum 9. April ist dann die Installation Tee Turm / Tea Tower / Çay Kulesi im Ausleihraum und im Schaufenster der Artothek zu sehen.

sls: Ihr habt die Video-Performance „The act of drinking tea is the highest form of art, I - III“ bereits angesprochen. Sie fand in deutscher und türkischer Sprache 2021 hier in der Artothek statt – pandemiebedingt ohne Publikum. Alle drei Teile sind nach wie vor auf dem Youtube Kanal des Kunstraums zu sehen. Um was ging es dabei?

t&t: In unserer Videoperformance ging es auch wieder um Leerstellen, vor allem mit Blick auf die Orte der Kunstproduktion. Wir haben uns mit unserem Tee-Besteck in der Artothek breit gemacht und teetrinkend über den Bestand der Artothek und Zugangsbarrieren zur Kunstproduktion philosophiert: Wessen Kunst ist hier zu finden? Von welchen Künstler*innen wurden in den über 30 Jahren seit Gründung der Artothek Werke angekauft? Wo tun sich Leerstellen auf in der Sammlung? Welche Wege führen dorthin? Das Tee-Trinken an diesem Ort haben wir als eine Form der performativen Intervention empfunden, die sich temporär in den Bestand der Artothek einschreibt und eine Leerstelle füllt.

sls: Vielleicht tragen eure Projekte dazu bei, dass sich beim Stöbern in unserer Sammlung dann der Blick der Besuchenden und Kund*innen auf den Bestand verändert; dass sie sensibilisiert werden für die Lücken, die es unweigerlich gibt. Oder dass sie uns mitteilen, welche Art von Kunst sie in unserem Bestand vermissen.

t&t: Was uns treibt ist im Grunde immer die Frage, wie und warum gewisse Leerstellen in der öffentlichen Kultur entstehen, und wie man da etwas ändern kann. Als Münchner*innen mit Arbeitsmigrationsgeschichte - unsere Eltern kamen über das Anwerbeabkommen mit der Türkei nach Deutschland - fragen wir uns eben, warum gewisse kulturelle Praktiken, die wir und tausend andere Münchner*innen kultivieren, kein Teil der öffentlichen Kultur sind. Diese Leerstellen sehen wir auch in anderen Bereichen. An vielen Orten der Kunst, der Kultur, an denen Bilder, Geschichten und Narrative produziert werden, sind manche Perspektiven unterrepräsentiert, und mit ihnen auch die entsprechenden Menschen. In den Videos gehen wir diesem Sachverhalt nach. Dabei lenkt sich unser Blick unweigerlich auf gesellschaftliche Strukturen und Routinen, die kanalisierend wirken: die einen sollen Kunst produzieren, die anderen sollen putzen gehen, - um es mal drastisch auszudrücken. So funktioniert das Schul- und Bildungssystem. Im Kulturbereich setzt sich das oftmals fort. So werden Menschen je nach sozialer Herkunft gesellschaftliche Positionen zugewiesen. Es lohnt sich darüber nachzudenken oder sich diesen Sachverhalt in Erinnerung zu rufen – am besten bei einem Gläschen Tee.

 





Hier geht es zu der dreiteiligen Videoserie "The Act of Drinking Tea is the Highest Form of Art":

Video 1, Video 2 , Video 3