Eingeengt im Kostüm der Vorurteile

Zwischen Buchsbaum und Plattenbau – Mafia Mord im Ghetto. Oder doch ein Ehrenmord? Eine Theaterkritik von Hakan Karakaya*



Die Wiederaufnahme des Theaterstücks „Tatort Paprikastraße“ von Emre Akal, welches bereits im Laboratorium Stuttgart aufgeführt wurde, feierte unter der Regie von Wilfried Alt am 2. Advent im ausverkauften Studio 1 des Stuttgarter JES Theaters seine Dernière.


Hinter jeder Tür steckt eine Geschichte. Und davon gibt es viele im Hochhaus in der Paprikastraße. Das 35-Jahre alte Muttersöhnchen Myschka, gefangen im Nest der russischen Mama; Die alleinstehende und charmante Griechin, die immer für einen Flirt zu haben ist; Das türkische Pärchen mit dem Werdegang Gymnasium – Abitur – Killesberg – Ghetto; Das italienische Paar Franco und Luisa oder auch das junge Fick Fuck Girl. Alle haben etwas gemeinsam. Sie scheinen resigniert zu sein, sind Migranten und führen ein scheinbar auswegloses Leben, eingeengt in einem tristen Hochhaus, das nur noch durch seinen Pastellton Anstrich versucht freundlich zu wirken. Und genau da setzt der Autor Emre Akal auch an, um seiner Kritik an der Stadtplanung und der Ghettobildung der Vergangenheit Ausdruck zu verleihen. 

Tatort Paprikastraße beschäftigt sich mit dem Thema „kulturelle Klischees“ und zeigt einen gelungenen Querschnitt einer ganz bestimmten Gesellschaftsschicht in einem urbanen Milieu. Dabei wird deutlich, dass gerade die Klischees und Vorurteile, die sich in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft gefestigt haben, keine Rolle spielen. Ganz im Gegenteil – man lernt sich von diesen Gedanken frei zu machen und eine tiefere, viel bedeutsamere Ebene zu betrachten – nämlich die der zwischenmenschlichen Beziehungen.


Der Regisseur Wilfried Alt und sein Ensemble inszenieren all das in einem mitreißenden Krimi inklusive einer Pantomime, die unter die Haut geht. Gezeigt werden Passagen vor einem Mord, welche immer wieder durch Einblendungen eines Polizeiverhörs aus der Perspektive der jeweiligen Beteiligten unterbrochen werden. Jeder der Protagonisten, angefangen bei der Sozialarbeiterin, über die Bewohner des Hauses, bis hin zur sensationsgeilen Reporterin spekulieren dabei auf ihre ganz eigene Art und Weise über den Tathergang und das Motiv. Dabei spiegeln die Darsteller das Gesellschaftsbild über Migranten wider, die mit allen denkbaren Klischees behaftet sind.


Mit einem ausgezeichneten Kostümbild fügten sie sich außerdem hervorragend in das Umfeld des Flurs mit den Wohnungen, hinter den angedeuteten Türen eines Hochhauses, welches von der Kostüm- und Bühnenbildnerin Ulé Barcelos gestaltet wurde. Die authentisch dargestellten Charaktere überzeugen mit vielen gefühlvollen und berührenden Augenblicken und regen die Zuschauer zum Nachdenken an. 


Mit „Tatort Paprikastraße“ ist allen Beteiligten ein großartiges Theaterstück gelungen. Das zeigte das Publikum mit langanhaltendem Applaus und der großen Nachfrage nach einer Wiederaufnahme. Und nicht nur Erwachsene hatten große Freude an diesem Abend, auch die jüngeren Zeitgenossen, die das JES Theater an diesem 2.Advent besuchten, werden wohl spätestens seit dieser Aufführung gefallen am Theater gefunden haben. 

 
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* Hakan Karakaya studierte Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Hof und war anschließend bei RTL II im Consumer Marketing beschäftigt. Seit 2012 ist er PR-Manager des deutsch-türkischen Improvisationstheaters " impro à la turka" und als freier Theaterkritiker tätig.





 

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