Unser Palästinakorrespondent Sobhi Khatib* hat sich Gedanken über den Wahlboykott der Bürgermeisterwahlen Jerusalems durch die Palis gemacht... Obwohl sie sich durch den Boykott das Leben selber schwer machen, ist er ein wichtiges Puzzlestück im friedlichen Kampf gegen die israelische Besatzung. Aber lest selbst!
von Sobhi Khatib
von Sobhi Khatib
Jerusalem hinter Gittern |
Am 22. Oktober 2013 haben in vielen
israelischen Städten und Gemeinden, darunter auch Jerusalem, Kommunalwahlen stattgefunden.
Die Heilige Stadt stellt dabei einen Sonderfall dar, da mehr als 250.000
Palästinenser dort als „residents“, also registrierte Einwohner leben, aber
nicht als Bürger des Staates Israel gelten.
Die militärische Eroberung des Ostteils der
Stadt im Jahr 1967 durch Israel reduzierte die palästinensische Bevölkerungsmehrheit
der Stadt zu „residents“, nachdem diese sich geweigert hatte, die israelische
Besatzung anzuerkennen und die israelische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Mit
dieser Entscheidung stehen die palästinensischen Einwohner im Einklang mit Internationalem
Recht, welches die einseitige Annexion Jerusalems nicht anerkennt und den
Ostteil der Stadt noch immer als besetztes Gebiet betrachtet.
Obwohl den Palästinensern als „residents“ in
Jerusalem das Recht zukommt, sich an Kommunalwahlen zu beteiligen, machen sie
von diesem Recht nicht gebrauch. So haben sich an den letzten Kommunalwahlen
vom 22. Oktober weniger als 1% der Palästinenser in Jerusalem beteiligt.
Sie wollen damit ihren Protest gegen israelische
Strategien und Maßnahmen zum Ausdruck bringen, die darauf abzielen, den Palästinensern
immer mehr Land zu rauben und ihnen das Leben so schwer zu machen, dass sie
sich gezwungen sehen, ihren „Lebensmittelpunkt“ von Jerusalem ins Westjordanland
zu verlagern.
Denn israelischem Recht zufolge, erlischt die
Aufenthaltserlaubnis eines „residents“, wenn er/sie seinen/ihren „Lebensmittelpunkt“
außerhalb der Stadt hat. Diese Person wäre dann gezwungen, ins Westjordanland
zu ziehen und ihres Rechts beraubt, in ihrem eigenen Haus zu leben. Darüber
hinaus werden den palästinensischen „residents“ grundlegende kommunale Dienstleistungen
verweigert, obwohl sie, wie die israelisch-jüdischen Bürger der Stadt auch,
Steuern bezahlen.
Warum beteiligen sie sich dann nicht an
Gemeinde- und Kommunalräten und machen dort ihre Rechte geltend?! Eine Antwort
auf diese Frage muss grundsätzlicher ausfallen und die besondere Situation
berücksichtigen: Die Beteiligung an Wahlen impliziert immer auch, dass man sich
mit dem dahinterstehenden System und seinen Abläufen einverstanden erklärt. Innerhalb
dieses Systems würde man dann seinen Repräsentanten wählen, der am ehesten die
eigenen Interessen und Ideale vertritt und von dem man sich folglich verspricht,
dass er eine Verbesserung der eigenen Position bewirken kann. Die Kommunalwahlen
in Jerusalem stellen hier keine Ausnahme dar.
Das Leben palästinensischer Bewohner
Jerusalems wäre um ein Vielfaches einfacher, wenn sie sich an Wahlen beteiligen
würden, da ihr Stimmanteil mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten ausmacht. Auch
würde sich ihr Leben dramatisch verändern, wenn sie die israelische
Staatsangehörigkeit annehmen würden und so die Möglichkeit bekämen, nicht wie
Gefangene im eigenen Haus und der eigenen Stadt zu leben, sondern sich frei
bewegen zu können – ohne Angst haben zu müssen, ihre Aufenthaltserlaubnis zu
verlieren. Aber sie opfern diese Möglichkeit, um damit ein klares und
deutliches Zeichen zu setzen: Wir leisten im Rahmen unserer Möglichkeiten widerstand
gegen diese Besatzung!
Dieser friedliche Widerstand gegen die Kommunalwahlen
soll die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die Israelis und
die Internationale Gemeinschaft daran erinnern, dass die Einwohner Jerusalems
die Normalisierung und Legitimierung der Besatzung weiterhin ablehnen.
Zusätzlich haben die Palästinenser in
Jerusalem lokale Komitees eingerichtet, die mit der PA und mehreren islamischen
Bewegungen assoziiert sind, um verschiedene Lebensbereiche der Palästinenser zu
verwalten und ihren Alltag zu erleichtern. Die Mitglieder dieser Komitees arbeiten
unter erschwerten Bedingungen und müssen mit ständigen Schikanen, Verhaftungen
sowie dem Entzug ihrer Aufenthaltsgenehmigungen rechnen. Dennoch ist ihre
Arbeit von Erfolg gekrönt, nicht zuletzt durch den fast vollständigen Boykott
der Wahlen.
Die palästinensischen „residents“ werden
weiterhin gegen die Fakten widerstand leisten, die Israel täglich neu schafft.
Allerdings brauchen sie bei diesem Kampf Unterstützung und Anerkennung von
Seiten der PA und der Internationalen Gemeinschaft. Andernfalls würden sie sich
im Stich gelassen fühlen, was negative Rückwirkungen auf alle beteiligten Akteure
der zur Zeit stattfindenden Friedensgespräche hätte.
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* Sobhi ist Pali aus Israel. Er denkt, arbeitet und schreibt für Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit im Leben aller Menschen.
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