Das Forschungsprojekt Cool Istanbul, das seit 2008 unter der Leitung von Dr. Derya Özkan den Imagewandel Istanbuls hin zu einer coolen Stadt untersucht, zeigt seit Mai 2014 die Ergebnisse in einer Interdisziplinäres Ausstellung. Ein Teil der Schau besteht aus der Arbeit von Manuela Unverdorben und Ralf Homann vom BTTP, dem Better Think Tank Projekt. Mit dem BTTP haben beide Künstler_innen eine Methode entwickelt, sich auf forschungsbasierte Weise mit Gesellschaften auseinanderzusetzen und die jeweiligen politischen Systeme zu analysieren. Was das alles zu bedeuten hat und was die beiden Querdenker_innen in Istanbul getrieben haben, könnt ihr im folgenden Interview lesen.
Wenn
man sich die BTTP Website ansieht, bekommt man den Eindruck als wäre
man bei einer dieser furztrockenen Consulting Firmen gelandet, bei
denen einem immer so inhaltsleere Phrasen entgegenschlagen, die dann
meistens noch untermauert sind mit hässlichen Diagrammen und
Graphiken. Könntest du kurz erklären, warum euere Ästhetik so
grässlich sein muss?
Ralf: Ja
klar, weil das, womit wir uns befassen so grässlich ist. Wir
zeichnen eben nach der Natur (lacht). Unser The Better Think Tank
Projekt bezieht sich auf den traditionellen Begriff des Think Tank
(zu deutsch: Denkfarbrik), der während des Zweiten Weltkriegs
entstand. Tank deutet
auf einen abhörsicheren Ort hin, wo zivile und militärische
Experten an militärischen Strategien arbeiteten (think).
Heute sind die Think Tanks meistens öffentliche oder private Institute,
die bestimmte politische, soziale und wirtschaftliche Konzepte
bewerben und Einfluss nehmen auf die Öffentliche Meinung.
Die Crux ist, dass sich diese Think Tanks nach außen oftmals neutral und wissenschaftlich-objektiv geben, gleichzeitig aber eine bestimmte politische oder ideologische Linie vertreten und durch ihre vermeintlich neutralen Forschungen versuchen, die politischen Debatten zu beeinflussen.
Mit unserem The Better Think Tank Projekt BTTP versuchen wir nun seit knapp 10 Jahren immer wieder die Vernebelungstaktiken von vermeintlich neutralen Think Tanks künstlerisch zu erforschen und ästhetisch herauszuarbeiten.
Die Crux ist, dass sich diese Think Tanks nach außen oftmals neutral und wissenschaftlich-objektiv geben, gleichzeitig aber eine bestimmte politische oder ideologische Linie vertreten und durch ihre vermeintlich neutralen Forschungen versuchen, die politischen Debatten zu beeinflussen.
Mit unserem The Better Think Tank Projekt BTTP versuchen wir nun seit knapp 10 Jahren immer wieder die Vernebelungstaktiken von vermeintlich neutralen Think Tanks künstlerisch zu erforschen und ästhetisch herauszuarbeiten.
Kannst
du ein Beispiel geben?
Ralf: Ein
gutes Beispiel ist unser „Liberty Café“. Darunter versteht man
in Washingtoner Think Tank Kreisen eine informelle und lockere
Zusammenkunft von Entscheidungsträgern, Meinungsführern und jungen,
frischen, Nachwuchskräften am Beginn ihrer vielversprechenden
marktradikalen Lobby-Karriere.
Dieses „Liberty Cafe“ haben wir für den Ausstellungsraum Glasmoog der Kunsthochschule für Medien in Köln nachgebaut. Jedoch auf die marktradikalen Kräfte verzichtet und als key note speaker u.a. den Kölner Theoretiker Detlef Hartmann eingeladen, der die amerikanische Szene der Think Tanks schon seit seiner Zeit in Berkeley kennt. Hartmann berichtete von einem Streik eines Catering-Unternehmens in Düsseldorf, bei dem zur Lösung McKinsey angerufen wurde. Die ganzen hochgeschulten Leute von McKinsey strömten ins Unternehmen und taten gegenüber den Arbeitnehmern einen auf Kumpel und behaupteten ernsthaft, die Arbeitssituation zur Zufriedenheit aller wieder ins Laufen bringen zu wollen.
Dieses „Liberty Cafe“ haben wir für den Ausstellungsraum Glasmoog der Kunsthochschule für Medien in Köln nachgebaut. Jedoch auf die marktradikalen Kräfte verzichtet und als key note speaker u.a. den Kölner Theoretiker Detlef Hartmann eingeladen, der die amerikanische Szene der Think Tanks schon seit seiner Zeit in Berkeley kennt. Hartmann berichtete von einem Streik eines Catering-Unternehmens in Düsseldorf, bei dem zur Lösung McKinsey angerufen wurde. Die ganzen hochgeschulten Leute von McKinsey strömten ins Unternehmen und taten gegenüber den Arbeitnehmern einen auf Kumpel und behaupteten ernsthaft, die Arbeitssituation zur Zufriedenheit aller wieder ins Laufen bringen zu wollen.
Das
heisst, McKinsey hat so hilfsbereit gegenüber den Arbeitnehmern
getan, obwohl es von dem Unternehmen bezahlt wurde und hat dann
versucht ihre Forschungsergebnisse und Empfehlungen als neutral an
die Mitarbeiter zu verklickern.
Ralf: Also
Detlef Hartmann hat in seinem Buch darüber geschrieben und das in
unserer BTTP-Ausstellung zusammengefasst. Wenn
ich mal Detlef zitieren darf: McKinsey ist eine gigantische Krake,
die weltweit Industriemanagement und Inustriearbeitsorgansiation
voranbringt. 80 deutsche Unternehmen hängen an McKinsey, unter
anderem auch VW in Wolfsburg. Und McKinsey hat damals zusammen mit
VW, also Hartz ein regionales Umstrukturierungsprogramm entwickelt,
und die Hartz IV Gesetze sind im Grunde nur ein Ausschnitt daraus.
Also Industrieentwicklung. McKinsey ist im Grunde ein riesen
Landesentwickler, der viele Think Tank Aufgaben wahrnimmt.
Da
möchte man fast zu mehr ziviler Militanz aufrufen statt zäher
Streiks...
Manuela:
Naja,
wir glauben daran, dass wir am besten durch künstlerische
Interventionen wie dem Better Think Tank Projekt solchen Think Tank
Systemen – wir sprechen von Wissensnarrativen – etwas
entgegensetzen können. Im Mittelpunkt unserer künstlerischen
Forschung stehen auch weniger die big player der Beratungsindustrie
wie McKinsey oder Bertelsmann, deshalb hatten wir ja Detlef Hartmann
und einen Vertreter von Lobby Control in die Kölner Ausstellung
eingeladen, die da firmer sind.
Ralf: Wir konzentrieren uns stärker auf
wenig bekannte internationale Think-Tank-Netzwerke, die die
ideologischen Ziele von von Hayek verfolgen. Dieser spätere
Ökonomie-Nobelpreisträger Friedrich von Hayek hatte bereits in den
60ern die Strategie ausgegeben, keine marktradikalen Parteien zu
gründen, sondern unter der Tarnung von Wissensproduktion Politik und
öffentliche Meinung zu beeinflussen. Heute werden seine Ideengebilde
oft unter dem Begriff „Neoliberalismus“ genannt, was so nicht
wirklich stimmt. Eigentlich ist von Hayek ein Paläo-Liberalist, sein
Ziel die Auflösung, Verhinderung oder zumindest Diskreditierung
kollektiver Verfahrensweisen. Manche kennen das auch unter
Thatcherismus. Neoliberalismus meint in seiner heutigen Bedeutung
eher die Übernahme solcher marktradikalen Ideen in die
Sozialdemokratie, zum Beispiel durch Blair. Damit wird eine bestimmte
ökonomische Theorie „alternativlos“, was ja auch ein geflügeltes
Wort in dieser Szene ist.
Warum
muss man bei Forschungen von Think Tanks vorsichtig sein?
Ralf: Es
geht darum, eine klare Vorstellung davon zu haben, wie vielfältig
die Welt von diesen Denkfabriken und Institutionen ist, welche
Mechanismen es gibt, mit denen bestimmte Ideen eingespeist werden.
Wir leben in einer wissensbasierten Welt und damit wird Wissen selbst
zum Steuerungsinstrument. Da gehts nicht nur Kompetenzen, Know How,
sondern auch Wissensdesign.
Deshalb muss man genau hinsehen und nachfragen: Wer hat das eigentlich finanziert? Was war genau die Aufgabenstellung einer Studie. Die meisten Think Tanks beschäftigen ja selbst keine Wissenschaftler_innen, die ihre Methoden offen legen, sondern vergeben Aufträge. Wobei die Auftragsvergabe im Grundsatz so erfolgt, dass das Ergebnis schon mitbestellt ist. Es geht also nicht um die Erweiterung oder Vertiefung von Wissen, sondern um eine bestimmte Erzählung, die diesem Wissen eingeschrieben ist oder durch dieses Wissen erfolgt.
Deshalb muss man genau hinsehen und nachfragen: Wer hat das eigentlich finanziert? Was war genau die Aufgabenstellung einer Studie. Die meisten Think Tanks beschäftigen ja selbst keine Wissenschaftler_innen, die ihre Methoden offen legen, sondern vergeben Aufträge. Wobei die Auftragsvergabe im Grundsatz so erfolgt, dass das Ergebnis schon mitbestellt ist. Es geht also nicht um die Erweiterung oder Vertiefung von Wissen, sondern um eine bestimmte Erzählung, die diesem Wissen eingeschrieben ist oder durch dieses Wissen erfolgt.
Manuela: Sätze wie zum Beispiel "Nur der freie Markt kann etwas richten, der Mensch
handelt und ist ökonomisch, Staatsschulden sind schlecht, private
Schulden gut, jeder ist seines Glückes Schmied". Das wären jetzt so
klassische Propagandastücke. Die Sachen werden aber teilweise so
kompliziert, dass sie selbst auf den zweiten Blick nicht auffallen.
Im Kern vernutzen Think Tank das Renomée, die Glaubwürdigkeit oder die Credibility von Wissenschaft für ihre Propaganda und können gleichzeitig über die Politik und Politiker_innen schimpfen, weil sie ja nicht als solche auftreten, sondern sich hinter Expertise verstecken.
Im Kern vernutzen Think Tank das Renomée, die Glaubwürdigkeit oder die Credibility von Wissenschaft für ihre Propaganda und können gleichzeitig über die Politik und Politiker_innen schimpfen, weil sie ja nicht als solche auftreten, sondern sich hinter Expertise verstecken.
Wie
sehen so mögliche Verschleierungsversuche aus?
Ralf: Viele
seriöse Forschungsinstitute – die mensch auch wissenschaftlich
kritisieren und politisch einordnen kann – haben oftmals
Tochterfirmen, die dann wiederum Auftragsforschung machen, um
Drittmittel einzunehmen. Dabei wird aus dem Namen des
Forschungsinstituts Kapital schlagen. Da muss man dann tatsächlich
gucken, ob das jetzt das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
oder die IW
Consult
ist, also die Tochterfirma, die dann Auftragsforschung macht. Und
wenn es die IW
Consult
ist, dann muss es einen Auftraggeber geben, und wenn das nicht klar
und deutlich genannt wird, dann sollte man das Papier in die Tonne
klopfen.
Manuela: Eines unserer ästhetischen Lieblingsobjekte in Brüssel – das Center for the New Europe - verschwand zum Beispiel, samt seiner Denkerei, nachdem die beiden Finanziers aus der Mineralölindustrie und der Pharmazie sich zurückgezogen haben. Wir können nur vermuten, entweder weil der Auftrag erfüllt war, oder weil die Hauptveranstaltung des Centers, der jährliche Brüsseler „Capitalist Ball“ - eine Feier des Kapitalismus und der Zitat „Giganten Reagan, von Hayek und Goethe“ in der Bankenkrise das falsche Profil war. Oder wir haben uns mal den Spaß gemacht, herauszukriegen, welche Firma tatsächlich für den behaupteten Naturschutz und die ökologische Nachhaltigkeit bei einem Bauprojekt am persischen Golf verantwortlich ist. Am Ende landeten wir bei einer Werbeagentur in London. Also hier geht es um Wissensdesign, nicht um wissenschaftliche Kompetenz.
Manuela: Eines unserer ästhetischen Lieblingsobjekte in Brüssel – das Center for the New Europe - verschwand zum Beispiel, samt seiner Denkerei, nachdem die beiden Finanziers aus der Mineralölindustrie und der Pharmazie sich zurückgezogen haben. Wir können nur vermuten, entweder weil der Auftrag erfüllt war, oder weil die Hauptveranstaltung des Centers, der jährliche Brüsseler „Capitalist Ball“ - eine Feier des Kapitalismus und der Zitat „Giganten Reagan, von Hayek und Goethe“ in der Bankenkrise das falsche Profil war. Oder wir haben uns mal den Spaß gemacht, herauszukriegen, welche Firma tatsächlich für den behaupteten Naturschutz und die ökologische Nachhaltigkeit bei einem Bauprojekt am persischen Golf verantwortlich ist. Am Ende landeten wir bei einer Werbeagentur in London. Also hier geht es um Wissensdesign, nicht um wissenschaftliche Kompetenz.
Ralf: Das, was wir nun seit knapp zehn
Jahren versuchen ist nun, mit künstlerischen, also ästhetischen
Mitteln die Grundmethoden dieser Think Tanks transparent zu kriegen:
Das wäre zum Beispiel das Echokammer-Prinzip. Da geht es darum,
eine ideologische Information solange aus unterschiedlichsten Quellen
und Medien in der Öffentlichkeit zu wiederholen, Zitierketten und
Copy-Paste-Strukturen hinzukriegen, dass diese Information am Ende
geglaubt wird, weil es ja alle sagen. Solche information bubbles
platzen zu lassen, halten wir für eine große und schöne
künstlerische Herausforderung. Schön vor allem deshalb, weil wir es
spielerisch tun, mit den Formaten spielen, die diese Think Tanks
selber benutzen. Wir saugen die Think Tanks quasi ästhetisch aus.
Und was habt ihr in Istanbul getrieben?
Ralf: In
Istanbul haben wir die dortigen Think Tanks recherchiert, und da die
meisten in der Hauptstadt Ankara ihre Lobby-Arbeit erledigen, deren
Aktivitäten in Istanbul. Im Vordergrund stand dabei das City
Branding von Istanbul. City Branding dient weniger dem
Tourismus-Marketing als der Kontrolle über das öffentliche
Bewusstsein von einer Stadt aber auch in einer Stadt. Auch Nation
Branding wird gemacht.
Manuela: Gerade da ist Istanbul wichtig. Mit Hilfe von
Istanbul will die Türkei in der Globalisierung wahrgenommen werden,
sich quasi vermarkten. Was erst mal Nahe liegt, denn Istanbul ist
nach Moskau die zweitgrößte Stadt Europas. Daran kann keiner
vorbei. So kleine Millionenstädte wie Diyarbekir
hingegen
kennt schon in Europa kaum noch jemand und in Asien oder in Amerika
ist damit keine Aufmerksamkeitsökonomie zu machen, vorausgesetzt die
türkische Republik würde das überhaupt wollen.
Ralf: In der
marktradikalen Logik ist Istanbul eine Marke, die Potenzial hat und
die deshalb nicht nur nach außen globalisiert werden kann, sondern
auch nach innen entwickelt werden muss. Die Bewohner_innen einer
Stadt müssen letztlich das übernehmen, glauben, was als Marke
geschaffen wird. In den deutschen Medien wird das dann bei Istanbul
oft verkürzt auf eine „Re-Osmanisierung“ der Türkei, weil sich
anscheinend die Gewichte von Ankara nach Istanbul verschieben. Diese
Verkürzung der Wahrnehmung ist durchaus im Sinne des City Brandings,
das ja auch mit der großen Geschichte Istanbuls wuchert oder mit dem
plumpen Gerede von Europa und Asien, die da irgendwie 'ne Brücke
hätten.
Wo
sind Ästhetiken einer neoliberalen Stadt zu erkennen?
Ralf: Da müssten wir erst den Begriff
„neoliberal“ klären. Wir benutzen ihn sehr ungern, da zur Zeit
alles mögliche darunter verstanden wird oder werden will. Auf
Istanbul bezogen: Der vermutliche Erfinder des Begriffs
Neoliberalismus, 1938 auf einer Tagung in Paris beschlossen, lebte zu
dieser Zeit im Exil in Istanbul: Der Wirtschaftswissenschaftler und
Soziologe Alexander Rüstow. Nach dem Ende des Nationalsozialismus
kehrte er nach Deutschland zurück, forschte in Heidelberg und wird
heute als einer der Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft
geführt.
Manuela: Wobei wir dann wieder darüber reden müssten, was an
diesem Begriff aus dem bundesrepublikanischen nation branding
wirklich dran ist. Während unseres Recherche-Aufenthalts in Istanbul
haben wir uns auch mit Rüstow beschäftigt. Zum Beispiel den Ort auf
der asiatischen Seite in Augenschein genommen, seinen Blick aufs
Meer, dort, wo er über Neoliberalismus nachdachte. Auch im Gespräch
mit dem Dekan der Wirtschaftswissenschaften an der Istanbuler
Universität war Rüstow Thema. Er hatte an der Universität gelehrt.
Zu mehr hatten wir leider keine Zeit.
Wie
liberal schätzt ihr den Staat ein, und wie sehr greift er in das Geschehen in
Istanbul ein?
Ralf: Ich vermute, du hast vielmehr Wissen
darüber, wie zentralistisch die türkische Republik von Ankara aus
gesteuert wird. Liberal wäre jetzt das falsche Etikett. Wir haben
uns mit einem liberalen Think Tank in Istanbul getroffen und teilen –
wirklich ausnahmsweise – mal deren Ansicht, dass sich eine
liberaler Staat zumindest über Gewaltenteilung definieren muss und
über die Gewährleistung bestimmter Rechte. Aktuell ist die
Versammlungsfreiheit nicht gewährleistet.
Und dass sich eine Bewegung selbstironisch als „Pinguine“ bezeichnet, weil statt einer Berichterstattung über ihren Protest im Fernsehen eine Tierdokumentation über Pinguine läuft, das spricht auch nicht für ein liberales Mediensystem. Ökonomisch gesehen geht’s jedoch über weite Strecken um eine liberale, also marktradikale, Globalisierung, sieht mensch mal davon ab, dass der Staat der größte Auftraggeber für eine Reihe von Großunternehmen ist und sie so an sich bindet.
Und dass sich eine Bewegung selbstironisch als „Pinguine“ bezeichnet, weil statt einer Berichterstattung über ihren Protest im Fernsehen eine Tierdokumentation über Pinguine läuft, das spricht auch nicht für ein liberales Mediensystem. Ökonomisch gesehen geht’s jedoch über weite Strecken um eine liberale, also marktradikale, Globalisierung, sieht mensch mal davon ab, dass der Staat der größte Auftraggeber für eine Reihe von Großunternehmen ist und sie so an sich bindet.
Was hat euch am meisten überrascht?
Ralf: Also für mich war am erhellensten,
wie nahe sich der AKP-Kapitalismus – wir haben ihn spaßeshalber in
der Ausstellung „sufistischer Kapitalismus“ genannt – und der
protestantische Kapitalismus sind: Im Bezug auf die Arbeitsethik, in
Bezug auf das Verweben von Moral und kapitalistischer,
sozialdarwinistischer Erfolgslogik.
Wir waren ja vor der sogenannten Soma-Katastrophe in Istanbul. Sogenannt deshalb, weil unsere Gesprächspartner_innen auf die hohe Anzahl von Arbeitsunfällen in der Türkei hingewießen haben und auch bereits die Zustände in den Bergwerken nannten. Also die Katastrophe ist strukturell und nicht einfach ein Unglück.
Was ich für die Analyse der anschließenden, niedergeknüppelten Proteste dabei interessant fand: Das, was in den deutschen Medien als Gefühllosigkeit Erdogans gegenüber den Opfern dargestellt und damit auf seine Person individualisiert wird, hat mehr mit diesem „sufistischen Kapitalismus“ zu tun. Nämlich davon auszugehen, dass es Schicksal sei. Es sei eben das Schicksal, das Selbst, von Bergarbeiter_innen im Bergwerk zu sterben, oder von Taxifahrer_innen in einem Autounfall. Das hat was mit höherer Bestimmung und einer bestimmten Staatsraison zu tun. Ich nenne das sozialdarwinistisch. Gegen diese Form der ideologischen Unterdrückung helfen nur kollektive Anstrengungen und die wiederum bekämpft der marktradikale Liberalismus. Dieses Zusammenspiel hält das Ganze sehr stabil.
Wir waren ja vor der sogenannten Soma-Katastrophe in Istanbul. Sogenannt deshalb, weil unsere Gesprächspartner_innen auf die hohe Anzahl von Arbeitsunfällen in der Türkei hingewießen haben und auch bereits die Zustände in den Bergwerken nannten. Also die Katastrophe ist strukturell und nicht einfach ein Unglück.
Was ich für die Analyse der anschließenden, niedergeknüppelten Proteste dabei interessant fand: Das, was in den deutschen Medien als Gefühllosigkeit Erdogans gegenüber den Opfern dargestellt und damit auf seine Person individualisiert wird, hat mehr mit diesem „sufistischen Kapitalismus“ zu tun. Nämlich davon auszugehen, dass es Schicksal sei. Es sei eben das Schicksal, das Selbst, von Bergarbeiter_innen im Bergwerk zu sterben, oder von Taxifahrer_innen in einem Autounfall. Das hat was mit höherer Bestimmung und einer bestimmten Staatsraison zu tun. Ich nenne das sozialdarwinistisch. Gegen diese Form der ideologischen Unterdrückung helfen nur kollektive Anstrengungen und die wiederum bekämpft der marktradikale Liberalismus. Dieses Zusammenspiel hält das Ganze sehr stabil.
Hat
die repressive Art, mit dem Erdogan den Taksim-Aufstand nieder hat
schlagen lassen mit der typischen Funktionsweise deregulierter
Staaten zu tun? Also damit, dass hier Spannungen in der Gesellschaft
mit einer Überangebot an polizeilichen Kontrollmechanismen begegnet
werden?
Manuela: Der türkische Staat ist keineswegs
dereguliert, genauso wenig wie der deutsche Staat. Gemeinsam ist
vielleicht bei sogenannten deregulierten Staaten, dass sie bei einer
Reihe bestimmter Probleme immer behaupten, sie seien ohnmächtig,
nicht zuständig, könnten sich gegen Märkte nicht durchsetzen. Das
ist aber ein demokratisch legitimierter Selbstverzicht. Fakt ist,
dass die Staaten – zumindest der sog. westlichen Welt – nie
mächtiger waren als jetzt. Ihre Polizei- und Kontrollapparate sind
enorm gewachsen und nahezu weltumspannend. Die Staaten setzen sie nur
nicht ein, bzw. nur gegen bestimmte Gruppen, die nicht in die
marktradikale Gesellschaftsplanung passen.
Ralf: Wie zum Beispiel am
Taksim. Spannender ist, wie die demokratische Legitimierung dieses
Selbstverzichts, die öffentliche Argumentation der vermeintlichen
Hilfslosigkeit funktioniert. Die Regierungen haben ja Mehrheiten. Und
da kommen eben zum Beispiel die Think Tanks und deren Echokammern ins
Spiel. Die seit Jahren hinausposaunen, was der Staat leisten kann,
was er nicht leisten kann und soll und ihre Konzepte im Rahmen der
Beratungsindustrie an Politik und Öffentlichkeit verkaufen. In der
Türkei kann eben der Staat nicht für ordentliche Arbeitsbedingungen
sorgen, dafür aber den Taksim am 1. Mai sperren.
Konntet
ihr euch einen Eindruck vom Immobilienwesen in Istanbul machen? Was
geht da?
Ralf: Da geht viel! Fragt sich nur für wen.
Wer investieren kann, wird reich, wer nicht investieren kann, soll
verschwinden. Einer unserer Gesprächspartner_innen brachte das auf
den Punkt, er müsse nicht mehr verreisen, um Abwechslung vom Alltag
zu finden, weil die Stadt jeden Morgen schon wieder anders aussieht.
Wir haben uns auf vier Stadtquartiere beschränken müssen, die zur
Zeit von Flächensanierung bedroht sind. In München zum Beispiel hat
die Stadtverwaltung ja Mitte letzten Jahrhunderts von den
ursprünglichen Planungen Abstand genommen, Innenstadtrandgebiete wie
Haidhausen einfach abzureißen und hat stattdessen die
Objektsanierung favorisiert. Was selbstverständlich auch zum
weitgehenden Austausch der Bevölkerung führte, die nun im Image des
ehemaligen Ausländer- und Künstler-Viertels lebt. Istanbul setzt
nach wie vor auf Flächensanierung. Uns interessierte jetzt weniger
diese Politik der Gentrifizierung – da gibt es ja vielfältige
Initiativen und auch praktische Projekte von Künstlerinnen, die das
zum Thema machen. Für uns war der Zusammenhang zum City Branding
wichtiger. Zum Beispiel ist Sulukule jetzt nach rund 1000 Jahren
Siedlungskultur der Roma zerstört. Das City Branding setzt aber
genau auf Bilder authentischer Geschichte. Es wird sozusagen in der
Realität vernichtet, was dann zum Ausgleich in der Fiktion des
Brandings wiederaufersteht. Das erinnert an das Vorgehen von Think
Tanks, Freiheit zu propagieren, wo de facto Unfreiheit entsteht. Das
setzt sich aktuell zum Beispiel in den Hafenquartieren fort. Wir
sollen durch zugerichtete Einkaufszentren flanieren und dabei die
überraschenden Gefühle des alten Hafens spüren.
Wie
schätzt ihr den Staat (unter Erdogan) ein? Verlaufen die
gesellschaftlichen Grenzlinien zwischen religiösen und Säkularen
oder mehr zwischen denen, die Kapital haben und denen, die mittellos
sind?
Ralf: Zumindest die urbanen Grenzlinien in
Istanbul werden am sichtbarsten an den neuen gated communities. Ob
das überhaupt und wie weit das auf andere Städte oder gar die
gesamte Türkei übertragen werden kann, damit haben wir uns nicht
beschäftigt. Unsere Gesprächspartner_innen haben uns darauf
aufmerksam gemacht, dass die klassischen religiösen und säkularen
Milieus im Wandel sind, bis hin zu theologischen Herausforderungen.
Die Politik der AKP-Regierung hat in Istanbul einen neuen religiösen
Mittelstand entstehen lassen, der auch von dieser Politik abhängig
ist und entsprechend zur demokratischen Unterstützung beiträgt.
Eine unserer Gesprächspartner_innen hat den Weg einer solchen
Familie des neuen religiösen Mittelstandes untersucht. Diese
Familien verlassen ihre bisherigen eher religiös bestimmten
Stadtquartiere, weil sie sich dort auf Grund ihres Reichtums nicht
mehr halten können.
Manuela: Der Umzug in die traditionellen Quartiere der
Mittelschichten, die eher säkular bestimmt sind, ist schwierig, weil
dort Reichtum und Religion ebenfalls nicht ohne Widerspruch gelebt
werden können. Damit sind die neuen gated communities interessant,
die den Immobilienmarkt befeuern. Es geht also um die Homogenisierung
eines Lebensstils im urbanen Gefüge, wie er auch in deutschen
Innenstadtarealen zu beobachten ist, wenn auch nicht unter religiösen
Vorzeichen, jedoch durchaus in der ideologischen Gemeinsamkeit einer
Ethik des Erfolgs.
Ralf: Ästhetisch gesehen ist das alles sehr spießig
und in die hohlen Formeln gepackt, wie wir sie von den Think Tanks
kennen. Ich glaube die Sprache der Think Tanks wird nur noch getoppt
von der Lyrik der Immobilienentwickler.
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Heute Abend: Finissage der Ausstellung "Call it Cool Istanbul" in der Plattform 3 mit THE FREE MARKET ROADSHOW ISTANBUL voM BTTP,
Kistlerhofstraße 70 (U3/ Aidenbachstraße)
19 Uhr
Better Think Tank Projekt
www.bttp-network.org
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