Songs of Gastarbeiter ― Duyduk duymadık demeyin, dinleyin!



Der Berliner Künstler Imran Ayata und der Münchner Künstler Bülent Kullukcu haben bei Trikont eine Compilation herausgebracht, die genau 1 Stunde 5 Minuten und 33 Sekunden durchgehend für Gänsehaut sorgt. 14 Tracks, 2 Remixes, ein herrliches Essay in 8 kleinen feinen Kapitelchen aus der Feder von Imran Ayata und ein glanzvolles Cover. Eine einzigartige Liebeserklärung, eine „Respektnote“ an die Gastarbeiter, an die Musiker unter ihnen und deren Songs, die wir aus den abendlichen Kölün-Radio-Sessions unserer Eltern zu kennen und zu lieben gelernt haben. Die CD ist ein wahres - hin und wieder melancholisches - Vergnügen für alle Sinne. Angefangen mit dem Alpencover, das die Hörer bereits visuell in die bergige Landschaft Anatoliens versetzt, darf man sich neben Cem Karaca, Selda und Gurbetçi Rıza auf weitere Tracks von weniger bekannten aber nicht weniger genialen Musikern freuen. 


Kennengelernt haben sich Imran Ayata und Bülent Kullukcu 2001, als die Kanacken in Berlin - ganz vorne mit dabei Imran Ayata - anfingen die Hochkultur aufzumischen. Mit Generation Aldi im Gepäck fuhr Bülent damals nach Berlin. Heute ist aus der Freundschaft zwischen Ayata und Kullukcu die musikalische Formation AY-KU entstanden. Weitere Volumes zu Songs of Gastarbeiter sind in Planung. Aber die müssen erst gesucht und gefunden werden, denn die Gastarbeiter kamen von überall her, „von Türkei, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland und Yugoslawien“, um es in den Worten von Ozan Ata Canani zu sagen (vgl. Track 1). 

Zuweilen touren Ayata und Kullukcu durch die Republik und beschallen das Land mit den Hits der Gastarbeiter.Vergangene Woche ließen sie im Rahmen der Frankfurter Buchmesse mehrere hundert Hipster aus der Literaturszene zu den Gastarbeitersongs tanzen. In den hoheitlichen Räumen des Literaturhauses zeigten sich die beiden Djs mehr als entspannt. Während Imran Ayata primär tanzte und nebenbei locker die Tracks auf seinem Laptock anklickte, trank Bülent Kullukcu primär Champagner und unterlegte die Songs nebenbei mit ein paar coolen Handbewegungen auf seinem Tablet mit ordentlichen Beats. Von Gastarbeiterkindern zu abgespaceten Performern: Dieses eigensinnige, ansteckende Duo muss man auf jedenfall erlebt haben. 

Trikont dürfte mit dieser Sache ins Schwarze getroffen haben. Lassen wir die Bescheidenheit bei Seite: Diese Musik gehört eindeutig zum Besten, was in den letzten 50 Jahren in Deutschland produziert worden ist. Wer Gastarbeiterkind ist und dazu steht, wird an dieser Compilation nicht vorbeikommen. Dieses ewige Weiterklicken und Rumklicken auf Youtube findet damit endlich ein Ende. Auch Kinder des bürgerlichen Haushalts dürfen sich die Musik guten Gewissens reinziehen, zumal es reichlich Material für ästhetische und historische Bildung enthält. So ist es. Man möge sich also Tee einschenken und reinhören. 

Und hier meine ganz persönlichen Favorites

Track 1: Die absolute Number One, "Deutsche Freunde" hat einen Sound, der „einmal gehört, einem nicht mehr aus dem Kopf geht“. Track 2: der absoluter Klassiker, der aufgrund des Bekantheitsgrad des Sängers Cem Karaca auch dem Durchschnittsdeutschen bekannt sein dürfte. Track 4: Gibt mit „Merhaba Dayı, wie geht’s, wie geht’s, Merhaba Onkil, wie geht’s “ einen prägnanten Einblick in den deutsch-türkischen Sprach-Mischmasch, der sich aus der Gastarbeitergeneration entwickelt hat. Track 5 ist einfach nur zum Heulen. Track 8 ist noch mehr zum Heulen: Diese dünne, weinerliche Frauenstimme und danach diese herzzerreisende Kinderstimme, bei der sämtliche Erinnerungen an die Cüneyt Arkın-Nolur-Nolamaz-Filme wach werden. Track 10: Äusserst hörenswert, vor allem für Germanisten, um auf spielerische Art und Weise den deutschen Satzbau der Gastarbeiter zu studieren. Track 12: Feinstes Hochzeitsgedudel! Schickt mich auf diese brachialen Straßenhochzeiten einer jeden türkischen Kleinstadt, in denen unter Lichtgirlanden und einer 11 köpfigen Musikkombo bis in die späte Nacht hinein gefeiert wurde. Track 15 hat das Potential zu den Charts der modernen türkischen Hochszeitsmusik zu avancieren. Beste dise!

1 Kommentar:

  1. Endlich gibt es diese CD! Hier gab es bisher wirklich nicht viel zu hören, und es müssen unzählig viele Musiker und Bands gewesen sein, die damals aufgetreten sind. Jede Gegend hatte da ihre local heros.
    In Stuttgart waren die Los Binkis in den 1970ern sehr beliebt. Da gibt es auch noch ein Single, die auf jeden Fall auf eine zweite Compilation müsste.

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