Der Regenmann

Der Regenmann war wieder da. Er erschien zur Mittagszeit in dem kleinen Dorf am Fuße des großen Berges, um es aus seinem Schlaf zu reißen. Die Leute hatten ihm diesen Namen gegeben, weil es immer regnete, wenn er im Dorf auftauchte; ob dies etwas mit ihm zu tun hatte, war nicht bekannt und nur die Alten und Abergläubischen glaubten daran. Alle anderen kümmerten sich nicht viel um ihn, vielmehr versuchten sie sich nicht von seinem Kommen bei der Verrichtung der täglichen Arbeit ablenken zu lassen. Es war ein kleines Dorf mit einfachen Menschen, die nicht allzuviel wussten von der Welt, für sich lebten, ohne eine Ahnung zu haben, wie die Welt eine Tagesreise weiter aussah. So hatten sie auch kein Gefühl und kein Bewusstsein für die Zeit; sie wussten nicht, was das bedeutete, Zeit. So konnten einem die Dorfbewohner auch nicht sagen, wie lange der Regenmann schon ins Dorf kam. Nur eines: die Alten kannten ihn aus ihrer Kindheit, wussten, dass er schon den Regen mitgebracht hatte, als sie noch an den Titten ihrer Mütter hingen.

Dabei wusste keiner der Dorfbewohner, wo sich der Regenmann aufhielt, wenn er nicht bei ihnen im Dorf war. Keiner traute sich, ihn zu fragen; zu viel Respekt hatten die Menschen vor ihm. Außer den Kindern hatte keiner den Mut mit ihm zu sprechen; doch jene Kinder fragten ihn auch nur nach Süßigkeiten, dem üblichen Wunsche einer kleinen Seele, die das Weltall noch nicht geschaut hat, deren Streben Genuss für Gaumen und Zunge gilt, reich an Phantasie, arm an Erfahrung, jedoch unschuldig und rein, ein Geschöpf der Natur, vollkommen, einem Engel gleich, der sich auf das Abenteuer der Menschwerdung einlässt, um zu erfahren, wie sich der Wind auf der Haut anfühlt die Berührung eines anderen Menschen, der Geschmack zergehender Schokolade auf der Zunge; um zu wachsen, das Wunder des Älterwerdens zu erfahren, den Schmerz, das Leid, die Trauer, die verlorene Unschuld des Kindes verwandelt zu sehen, gewandelt in Gedanken und Absichten, Ziele und Zwecke, Pläne und Taten, die alle auf etwas zustreben, die Unbeschwertheit der Kindheit einbüßen, eintauschen gegen Erwachsenenglück und Erwachsenengedanken, das…oh ja, es brennt und schmeckt bitter, der Geschmack der Schokolade, die sich das gealterte Kind in den Mund steckt, in Reminiszenz an längst vergessene Tage sich etwas vormacht, ein Stück Schokolade essend, die Enttäuschung, den Betrug, spürt, schmeckt, die Tränen aus den Augenwinkeln über die dicken Tränensäcke die zerfurchte Haut hinunterlaufen, brennend, wie Feuer, den Leidenden die Qual des Erwachens aus dem Schlaf erträglicher machen, der doch so lange anhielt, ein Leben lang, unbemerkt, wie der Fluss, an dem man seit Urzeiten lebt, wähnend, dass es der gleiche, träge Fluss sei, den man tagein, tagaus sieht, nicht ahnend, dass er in jedem Augenblick sich wandelt, verändert, gleich bleibt, älter wird, dabei seine Seele alles in sich aufnimmt, strahlt, Frieden gibt, einem jeden, dem die Wonne ihrer Schau zu Teil ward!

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