In den Medien stinkt es!

Menschen mit Migrationshintergrund machen in Deutschland 20% der Gesamtgesellschaft aus, ihr Anteil unter Journalist*innen ist mit 2% aber extrem unterrepräsentiert. Das stinkt gewaltig nach Rassismus.  In unserem Gespräch mit Dr. Liriam Sponholz*, Rassismus-Expertin und Wissenschaftlerin an der Universität Erfurt, lüften wir mal ordentlich durch.  
Von Tamer Düzyol/ Tunay Önder

Dr. Liriam Sponholz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Rassismus zwischen Konsens, Meinung und Tabu. Die publizistischen Kontroversen um Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson“ an der Universität Erfurt. 



Migrantenstadl: Frau Dr. Sponholz, bevor wir über Rassismus in den Medien sprechen, können Sie uns erklären, was unter Rassismus zu verstehen ist? 

Dr. Liriam Sponholz: Nach der Definition der UN-Rassendiskriminierungskonvention, auf die ich mich beziehe, ist Rassismus jede auf die Rasse, die Hautfarbe, die Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Ausschließung. Ziel und gleichzeitig auch Folge davon ist, dass ein gleichberechtigtes Anerkennen in allen möglichen Bereichen des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.

Rassismus hat vier Dimensionen, die zusammen auftreten müssen, wenn Rassismus indiziert werden soll. Bei den vier Dimensionen handelt es sich um folgende:

1. Kategorisierung: D.h. man betrachtet den Anderen nicht als Individuum, sondern als Repräsentant oder „Exemplar“ einer Gruppe. 2. Bewertung: Der Andere wird in irgendeiner Form bewertet, wobei diese Bewertung auch positiv sein kann. 3. Verallgemeinerung: Die Bewertung gilt für die ganze Gruppe, die angesprochen wird. Und 4. die Funktion: Die Funktion ist die Ausgrenzung, die Benachteiligung im öffentlichen Leben. Sofern ein Sachverhalt oder eine Haltung diese vier Dimensionen zusammen aufzeigt, ist es richtig von Rassismus zu sprechen. Umgekehrt bedeutet das, dass z.B. eine Kategorisierung allein keine rassistische Aussage ausmacht. Beispielsweise: „Schotten sind geizig.“ Das ist keine rassistische Aussage. Sie kategorisiert, sie bewertet, sie kann eventuell als eine Diskriminierung betrachtet werden, aber nicht als rassistisch, weil sie keine Funktion der Ausgrenzung hat. Sie hat keine Funktion der Benachteiligung der Schotten.



Migrantenstadl: Es gibt Rassismus auf verschiedenen Ebenen in der Gesellschaft, allerdings werden selten die Medien mit Rassismus konfrontiert. Wie würden Sie das bewerten? Gibt es Rassismus in den deutschen Medien?



Dr. Liriam Sponholz: Medien funktionieren als ein Verbreitungsraum rassistischer Aussagen. Sie gestalten unsere Realität mit, erzeugen selbst Bilder unserer sozialen Realität. Diese soziale Realität kann auch rassistische Bilder enthalten, d.h. Medien gestalten Rassismus mit. Sie sind keine reinen Reproduzenten rassistischer Bilder oder Repräsentationen, sondern sie gestalten diese aktiv mit.

Wir können sicherlich rassistische Denkmuster oder Repräsentationen in den deutschen Medien beobachten. Das erfolgt sowohl in der gewöhnlichen, alltäglichen Berichterstattung als auch in der Berichterstattung über rassistische Aussagen. In dem ersten Fall können wir z.B. über die Migrationsberichterstattung reden und von dieser ständigen Darstellung der Migrantin als Frau mit Kopftuch. Und wenn Männer überhaupt auftreten in diesen Bildern, sind sie jung und zeigen eine Mimik und Symbolik, die auf Gewalt hindeutet. Und dann gibt es ein anderes Moment, in dem rassistische Bilder in den Medien auftreten, und das sind z.B. Kontroversen, wie z.B. die Sarrazin-Polemik. Dort wurde eine Menge rassistischer Denkmuster verbreitet, nicht unbedingt affirmativ. Die Medien waren mit Sarrazin sehr kritisch, haben aber trotzdem seine Ansichten weitergegeben. Das sind zwei unterschiedliche Momente, in denen wir Rassismus in den Medien beobachten können, die auch zwei verschiedene Qualitäten haben. In dem ersten Moment ist Rassismus selbstverständlich und man sieht ihn nicht. In dem anderen Moment sieht man ihn zum Teil, kritisiert ihn, bietet ihm aber trotzdem eine Bühne.



Migrantenstadl: Sie haben gerade die Sarrazin-Debatte erwähnt. Können Sie darauf näher eingehen, wie die Medien mit Sarrazin und seinen Thesen umgegangen sind?



Dr. Liriam Sponholz: Die Presse in Deutschland war sehr kritisch mit Sarrazin. Das Problem ist, dass diese kritische Einstellung auch Aufmerksamkeit bedeutet hat, d.h. sie haben Sarrazin gehört, sie haben seine Aussagen verbreitet, auch wenn sie gleichzeitig diese Aussagen kritisiert haben. Und es gab zum Teil auch eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser Aussagen, die sich nicht gehört. Der Inhalt dieser Aussagen ist klar rassistisch, wie später auch die UN festgestellt hat.



Migrantenstadl: Wie wurde mit seinen Thesen umgegangen? Haben die Medien seine Thesen auch negiert?



Dr. Liriam Sponholz: In dem Fall eines Polemikers wie Sarrazin gibt es unterschiedliche Möglichkeiten des Umganges. Ein Umgang ist: Wir beschäftigen uns nur mit der Person. Der andere Umgang ist: Wir beschäftigen uns mit dem Inhalt dieser Aussagen. Wenn ich mich mit der Person beschäftige, dann ist das ein Zeichen, dass man den Inhalt der Aussagen gar nicht als diskutabel ansieht. In der Polemik um Sarrazin haben sich die Medien mit der Person beschäftigt, aber auch mit den Aussagen. Sie haben aber nicht so sehr den Inhalt der Aussagen diskutiert. Es gab Berichte, in denen das diskutiert wurde, aber sie haben hauptsächlich die Formulierungen von Sarrazin kritisiert. Und das ist ein Problem, weil man, zugespitzt formuliert, in der Presseberichterstattung gesagt hat, dass das, was er gesagt hat, stimmt schon, er hätte es nur anders formulieren sollen.



Migrantenstadl: Kann man sagen, dass eigentlich die Thesen unterstützt wurden?



Dr. Liriam Sponholz: Nicht unterstützt. Sie brauchen keine Unterstützung. Seine Thesen finden einen großen Widerhall in der deutschen Gesellschaft. Sie wurden nicht infrage gestellt, weder der Realitätsgehalt noch die Legitimität dieser Aussagen. Das sind zwei unterschiedliche Fragen: Die eine Frage beschäftigt sich damit, ob der Inhalt stimmt und die andere beschäftigt sich mit der Legitimität, d.h. mit der Frage „Ist es in Ordnung, das zu diskutieren?“ In Bezug auf den Realitätsgehalt dieser Aussagen hatten wir isolierte, aber sehr wichtige Initiativen wie zum Beispiel die Studie von Naika Foroutan, die Aussagen von Sarrazin überprüft hat, d.h. sie hat sie verglichen mit anderen Daten. In Bezug auf die Legitimität lässt sich folgendes konstatieren: Es gab eine breite Diskussion in der Presse. Aber allein die Tatsache, dass diese Aussagen diskutiert worden sind, legitimiert sie schon. Legitimation in den Medien heißt diskutabel zu sein. Indem man sich mit dem Inhalt dieser Aussagen beschäftigt, sagt man, „das ist diskutabel“. Es gibt andere Ansichten, die nicht als diskutabel gelten. Das alles ist auch keine Frage von Zensur oder von Meinungsfreiheit. Es ist nur eine Frage der Werte, eine Frage davon, welche Werte in dieser Gesellschaft vorhanden sind. Ein zugespitztes Beispiel: Keiner würde diskutieren, ob Menschenfleisch schmeckt. Das ist keine Zensur und auch keine Frage der Meinungsfreiheit. Es ist eine Frage der Werte. Kann man diskutieren, ob Menschen genetisch minderwertig sind? Ist die Aussage, dass diese Menschen keine produktive Funktion haben, legitim? Ist es legitim, Menschen nach diesen Kriterien zu beurteilen? Und ist es legitim, eine Gruppe nach diesen Kriterien zu beurteilen? Das ist eine Frage von Legitimität, und nicht von Wahrheit. Außerdem: Warum diese Gruppen? Warum Türk*innen und Araber*innen?



Migrantenstadl: Ja, wieso Türk*innen und Araber*innen?



Dr. Liriam Sponholz: Man hatte 2008/2009 eine Wirtschaftskrise. Jedes Mal, wenn eine Krise existiert, muss man einen Schuldigen suchen, denn man selbst kann nicht der Schuldige sein. Der Schuldige muss zudem etwas sein, was begreifbar, einfach ist, was ich sehen und verstehen kann. Ein wirtschaftlicher Prozess hat eine höhere Komplexität als das Reden über Migranten.



Migrantenstadl: Im Kontext der Berichterstattung über das NSU-Netzwerk konnte man in den Medien von „Döner-Morden“ lesen. Wie kann man diesen Begriff und sein Erscheinen in den Medien bewerten?



Dr. Liriam Sponholz: Er ist ein rassistischer Begriff, weil er kategorisiert. Es ist eine klare Referenz auf eine Gruppe und zwar auf die Gruppe von türkeistämmigen Deutschen und Türken (die übrigens synonym behandelt werden). Er wertet ab, denn es wurden keine Döner, sondern Menschen getötet. Der Begriff erkennt das nicht an, der Begriff „Döner-Morde“ erkennt nicht, dass es Menschen waren, die getötet wurden. Er verallgemeinert und hat eine Funktion der Verharmlosung. Er ist ein rassistischer Begriff, der in die Kategorie des unsichtbaren, selbstverständlichen Rassismus zu verorten ist. Rassismus ist nicht unbedingt selbstverständlich. Es gibt wissenschaftlichen Rassismus, der begründet, rational, intentional ist. Der Begriff „Döner-Morde“ ist aber das, was sozusagen „raus rutscht“, weil man das, was er symbolisiert, nicht problematisiert hat.



Migrantenstadl: Sie haben vorhin erwähnt, dass die Türkeistämmigkeit ein Synonym in den Medien ist. Wofür ist sie ein Synonym?



Dr. Liriam Sponholz: Für Migrant*innen, obwohl 81% der Personen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, weder Türken sind noch türkische Vorfahren haben. Im Übrigen ist das Synonym „Migrant“ auch negativ besetzt. Der Migrant ist Türke und damit ein Moslem. In diesem Begriff von „Migrant“, der für Türken steht, sind zudem Migrant*innen in der Regel unterdrückt, traditioneller, archaischer, konservativer, einfach rückständiger.



Migrantenstadl: Wie bewerten Sie die Migrationsdebatte in Deutschland?



Dr. Liriam Sponholz: Ich finde, die Debatte ist irrelevant. Die Medien schreiben einer Frage eine Relevanz zu, die in der Wirklichkeit Deutschlands nicht existiert. Die Debatte ist falsch geführt. Integration ist schon die falsche Fragestellung. Dieses Land hat ernsthaftere Probleme. In der Medienberichterstattung involviert „Integration“ nur Migrant*innen. Sie werden in dieser Debatte als die einzigen Adressat*innen für Integration und zum Gegenstand der Aktion der Ingroup gemacht, wobei Integration meint – das ist die Bedeutung des Wortes, das ist die Idee, die dahinter stecken sollte – „aus Teilen ein Ganzes machen“. Integration bedeutet “to make a whole”.

Integration bezieht sich nicht nur auf einen Teil der Gesellschaft, sie richtet sich nicht nur an eine Gruppe. Es ist wie ein Puzzle. Und ein Puzzle macht man nicht, in dem man nur einem Teil einen Platz in dem Ganzen zuordnet. Aber in der politischen Debatte in Deutschland wurde dieser Begriff umgedeutet. Und ein Beispiel, ein sprachlicher Hinweis darauf ist die Tatsache, dass von „sich integrieren“ geredet wird. D.h. es involviert nur einen Teil und es ist eine Frage des Willens und Könnens dieses Teils, vor allem des Willens. Integrationswillen kann nur eine Gesellschaft als Ganzes haben. Hat diese Gesellschaft einen Willen zur Integration? Und welche Teile sind in diesen Prozess involviert?



Migrantenstadl: 20% Menschen in der Gesellschaft in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Unter den Journalist*innen  haben nur 2% einen solchen Hintergrund. Wie kann man das deuten?



Dr. Liriam Sponholz: Das ist eine Frage, ein Prozess, der nicht nur auf das Mediensystem zurückzuführen ist. Wenn man sieht, wie viele Kinder mit einem Migrationshintergrund eine Empfehlung für ein Gymnasium erhalten, erkennt man schon die erste Ursache oder eine der ersten Ursachen. Das Ergebnis dieser sozialen Ausgrenzung von Migranten, die sich auch im Mediensystem widerspiegelt, ist die Entstehung von Begriffen, wie „Döner-Morde“. Hätten wir mehr Journalist*innen mit Migrationshintergrund in den deutschen Redaktionen, dann wäre es sicher den Redakteur*innen selbst aufgefallen, was es bedeutet, Menschen als Döner zu bezeichnen.

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*Dr. Liriam Sponholz promovierte in Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig zum Thema „Journalistische Objektivität“. Sie studierte Journalistik (Bachelor) und Geschichte (Master) an Bundesuniversität von Paraná (UFPR) und arbeitete mehrere Jahre als Journalistin in Brasilien, bevor sie vor 10 Jahren als DAAD-Stipendiatin nach Deutschland kam. Derzeit
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Rassismus zwischen Konsens, Meinung und Tabu. Die publizistischen Kontroversen um Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson“ an der Universität Erfurt. 

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