Menschen mit Migrationshintergrund machen in Deutschland 20% der
Gesamtgesellschaft aus, ihr Anteil unter Journalist*innen ist mit 2%
aber extrem unterrepräsentiert. Das stinkt gewaltig nach Rassismus. In unserem Gespräch mit Dr. Liriam Sponholz*, Rassismus-Expertin und
Wissenschaftlerin an der Universität Erfurt, lüften wir mal
ordentlich durch.
Von Tamer Düzyol/ Tunay Önder
Migrantenstadl: Frau Dr. Sponholz, bevor wir über Rassismus in den Medien sprechen, können Sie uns erklären, was unter Rassismus zu verstehen ist?
Dr. Liriam Sponholz: Nach der Definition der UN-Rassendiskriminierungskonvention, auf die ich mich beziehe, ist Rassismus jede auf die Rasse, die Hautfarbe, die Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Ausschließung. Ziel und gleichzeitig auch Folge davon ist, dass ein gleichberechtigtes Anerkennen in allen möglichen Bereichen des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.
Dr. Liriam Sponholz: Nach der Definition der UN-Rassendiskriminierungskonvention, auf die ich mich beziehe, ist Rassismus jede auf die Rasse, die Hautfarbe, die Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Ausschließung. Ziel und gleichzeitig auch Folge davon ist, dass ein gleichberechtigtes Anerkennen in allen möglichen Bereichen des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.
Rassismus hat vier Dimensionen, die zusammen auftreten müssen, wenn
Rassismus indiziert werden soll. Bei den vier Dimensionen handelt es
sich um folgende:
1. Kategorisierung: D.h. man betrachtet den Anderen nicht als
Individuum, sondern als Repräsentant oder „Exemplar“ einer
Gruppe. 2. Bewertung: Der Andere wird in irgendeiner Form
bewertet, wobei diese Bewertung auch positiv sein kann.
3. Verallgemeinerung: Die Bewertung gilt für die ganze Gruppe,
die angesprochen wird. Und 4. die Funktion: Die Funktion ist
die Ausgrenzung, die Benachteiligung im öffentlichen Leben. Sofern
ein Sachverhalt oder eine Haltung diese vier Dimensionen zusammen
aufzeigt, ist es richtig von Rassismus zu sprechen. Umgekehrt
bedeutet das, dass z.B. eine Kategorisierung allein keine
rassistische Aussage ausmacht. Beispielsweise: „Schotten sind
geizig.“ Das ist keine rassistische Aussage. Sie kategorisiert, sie
bewertet, sie kann eventuell als eine Diskriminierung betrachtet
werden, aber nicht als rassistisch, weil sie keine Funktion der
Ausgrenzung hat. Sie hat keine Funktion der Benachteiligung der
Schotten.
Migrantenstadl:
Es gibt Rassismus auf verschiedenen Ebenen in der Gesellschaft,
allerdings werden selten die Medien mit Rassismus konfrontiert. Wie
würden Sie das bewerten? Gibt es Rassismus in den deutschen Medien?
Dr.
Liriam Sponholz: Medien funktionieren als
ein Verbreitungsraum rassistischer Aussagen. Sie gestalten unsere
Realität mit, erzeugen selbst Bilder unserer sozialen Realität.
Diese soziale Realität kann auch rassistische Bilder enthalten, d.h.
Medien gestalten Rassismus mit. Sie sind keine reinen Reproduzenten
rassistischer Bilder oder Repräsentationen, sondern sie gestalten
diese aktiv mit.
Wir können sicherlich rassistische Denkmuster oder Repräsentationen
in den deutschen Medien beobachten. Das erfolgt sowohl in der
gewöhnlichen, alltäglichen Berichterstattung als auch in der
Berichterstattung über rassistische Aussagen. In dem ersten Fall
können wir z.B. über die Migrationsberichterstattung reden und von
dieser ständigen Darstellung der Migrantin als Frau mit Kopftuch.
Und wenn Männer überhaupt auftreten in diesen Bildern, sind sie
jung und zeigen eine Mimik und Symbolik, die auf Gewalt hindeutet.
Und dann gibt es ein anderes Moment, in dem rassistische Bilder in
den Medien auftreten, und das sind z.B. Kontroversen, wie z.B. die
Sarrazin-Polemik. Dort wurde eine Menge rassistischer Denkmuster
verbreitet, nicht unbedingt affirmativ. Die Medien waren mit Sarrazin
sehr kritisch, haben aber trotzdem seine Ansichten weitergegeben. Das
sind zwei unterschiedliche Momente, in denen wir Rassismus in den
Medien beobachten können, die auch zwei verschiedene Qualitäten
haben. In dem ersten Moment ist Rassismus selbstverständlich und man
sieht ihn nicht. In dem anderen Moment sieht man ihn zum Teil,
kritisiert ihn, bietet ihm aber trotzdem eine Bühne.
Migrantenstadl:
Sie haben gerade die Sarrazin-Debatte erwähnt. Können Sie darauf
näher eingehen, wie die Medien mit Sarrazin und seinen Thesen
umgegangen sind?
Dr.
Liriam Sponholz: Die Presse in Deutschland
war sehr kritisch mit Sarrazin. Das Problem ist, dass diese kritische
Einstellung auch Aufmerksamkeit bedeutet hat, d.h. sie haben Sarrazin
gehört, sie haben seine Aussagen verbreitet, auch wenn sie
gleichzeitig diese Aussagen kritisiert haben. Und es gab zum Teil
auch eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieser Aussagen, die sich
nicht gehört. Der Inhalt dieser Aussagen ist klar rassistisch, wie
später auch die UN festgestellt hat.
Migrantenstadl:
Wie wurde mit seinen Thesen umgegangen? Haben die Medien seine Thesen
auch negiert?
Dr.
Liriam Sponholz: In dem Fall eines
Polemikers wie Sarrazin gibt es unterschiedliche Möglichkeiten des
Umganges. Ein Umgang ist: Wir beschäftigen uns nur mit der Person.
Der andere Umgang ist: Wir beschäftigen uns mit dem Inhalt dieser
Aussagen. Wenn ich mich mit der Person beschäftige, dann ist das ein
Zeichen, dass man den Inhalt der Aussagen gar nicht als diskutabel
ansieht. In der Polemik um Sarrazin haben sich die Medien mit der
Person beschäftigt, aber auch mit den Aussagen. Sie haben aber nicht
so sehr den Inhalt der Aussagen diskutiert. Es gab Berichte, in denen
das diskutiert wurde, aber sie haben hauptsächlich die
Formulierungen von Sarrazin kritisiert. Und das ist ein Problem, weil
man, zugespitzt formuliert, in der Presseberichterstattung gesagt
hat, dass das, was er gesagt hat, stimmt schon, er hätte es nur
anders formulieren sollen.
Migrantenstadl:
Kann man sagen, dass eigentlich die Thesen unterstützt wurden?
Dr.
Liriam Sponholz: Nicht unterstützt. Sie
brauchen keine Unterstützung. Seine Thesen finden einen großen
Widerhall in der deutschen Gesellschaft. Sie wurden nicht infrage
gestellt, weder der Realitätsgehalt noch die Legitimität dieser
Aussagen. Das sind zwei unterschiedliche Fragen: Die eine Frage
beschäftigt sich damit, ob der Inhalt stimmt und die andere
beschäftigt sich mit der Legitimität, d.h. mit der Frage „Ist es
in Ordnung, das zu diskutieren?“ In Bezug auf den Realitätsgehalt
dieser Aussagen hatten wir isolierte, aber sehr wichtige Initiativen
wie zum Beispiel die Studie von Naika Foroutan, die Aussagen von
Sarrazin überprüft hat, d.h. sie hat sie verglichen mit anderen
Daten. In Bezug auf die Legitimität lässt sich folgendes
konstatieren: Es gab eine breite Diskussion in der Presse. Aber
allein die Tatsache, dass diese Aussagen diskutiert worden sind,
legitimiert sie schon. Legitimation in den Medien heißt diskutabel
zu sein. Indem man sich mit dem Inhalt dieser Aussagen beschäftigt,
sagt man, „das ist diskutabel“. Es gibt andere Ansichten, die
nicht als diskutabel gelten. Das alles ist auch keine Frage von
Zensur oder von Meinungsfreiheit. Es ist nur eine Frage der Werte,
eine Frage davon, welche Werte in dieser Gesellschaft vorhanden sind.
Ein zugespitztes Beispiel: Keiner würde diskutieren, ob
Menschenfleisch schmeckt. Das ist keine Zensur und auch keine Frage
der Meinungsfreiheit. Es ist eine Frage der Werte. Kann man
diskutieren, ob Menschen genetisch minderwertig sind? Ist die
Aussage, dass diese Menschen keine produktive Funktion haben,
legitim? Ist es legitim, Menschen nach diesen Kriterien zu
beurteilen? Und ist es legitim, eine Gruppe nach diesen Kriterien zu
beurteilen? Das ist eine Frage von Legitimität, und nicht von
Wahrheit. Außerdem: Warum diese Gruppen? Warum Türk*innen und Araber*innen?
Migrantenstadl:
Ja, wieso Türk*innen und Araber*innen?
Dr.
Liriam Sponholz: Man hatte 2008/2009 eine
Wirtschaftskrise. Jedes Mal, wenn eine Krise existiert, muss man
einen Schuldigen suchen, denn man selbst kann nicht der Schuldige
sein. Der Schuldige muss zudem etwas sein, was begreifbar, einfach
ist, was ich sehen und verstehen kann. Ein wirtschaftlicher Prozess
hat eine höhere Komplexität als das Reden über Migranten.
Migrantenstadl:
Im Kontext der Berichterstattung über das NSU-Netzwerk konnte man in den
Medien von „Döner-Morden“ lesen. Wie kann man diesen
Begriff und sein Erscheinen in den Medien bewerten?
Dr.
Liriam Sponholz: Er ist ein rassistischer
Begriff, weil er kategorisiert. Es ist eine klare Referenz auf eine
Gruppe und zwar auf die Gruppe von türkeistämmigen Deutschen und
Türken (die übrigens synonym behandelt werden). Er wertet ab, denn
es wurden keine Döner, sondern Menschen getötet. Der Begriff
erkennt das nicht an, der Begriff „Döner-Morde“ erkennt nicht,
dass es Menschen waren, die getötet wurden. Er verallgemeinert und
hat eine Funktion der Verharmlosung. Er ist ein rassistischer
Begriff, der in die Kategorie des unsichtbaren, selbstverständlichen
Rassismus zu verorten ist. Rassismus ist nicht unbedingt
selbstverständlich. Es gibt wissenschaftlichen Rassismus, der
begründet, rational, intentional ist. Der Begriff „Döner-Morde“
ist aber das, was sozusagen „raus rutscht“, weil man das, was er
symbolisiert, nicht problematisiert hat.
Migrantenstadl:
Sie haben vorhin erwähnt, dass die Türkeistämmigkeit ein Synonym
in den Medien ist. Wofür ist sie ein Synonym?
Dr.
Liriam Sponholz: Für Migrant*innen, obwohl 81%
der Personen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben,
weder Türken sind noch türkische Vorfahren haben. Im Übrigen ist
das Synonym „Migrant“ auch negativ besetzt. Der Migrant ist Türke
und damit ein Moslem. In diesem Begriff von „Migrant“, der für
Türken steht, sind zudem Migrant*innen in der Regel unterdrückt,
traditioneller, archaischer, konservativer, einfach rückständiger.
Migrantenstadl:
Wie bewerten Sie die Migrationsdebatte in Deutschland?
Dr.
Liriam Sponholz: Ich finde, die Debatte ist
irrelevant. Die Medien schreiben einer Frage eine Relevanz zu, die in
der Wirklichkeit Deutschlands nicht existiert. Die Debatte ist falsch
geführt. Integration ist schon die falsche Fragestellung. Dieses
Land hat ernsthaftere Probleme. In der Medienberichterstattung
involviert „Integration“ nur Migrant*innen. Sie werden in dieser
Debatte als die einzigen Adressat*innen für Integration und zum
Gegenstand der Aktion der Ingroup gemacht, wobei Integration meint –
das ist die Bedeutung des Wortes, das ist die Idee, die dahinter
stecken sollte – „aus Teilen ein Ganzes machen“.
Integration bedeutet “to make a whole”.
Integration bezieht sich nicht nur auf einen Teil der Gesellschaft,
sie richtet sich nicht nur an eine Gruppe. Es ist wie ein Puzzle. Und
ein Puzzle macht man nicht, in dem man nur einem Teil einen Platz in
dem Ganzen zuordnet. Aber in der politischen Debatte in Deutschland
wurde dieser Begriff umgedeutet. Und ein Beispiel, ein sprachlicher
Hinweis darauf ist die Tatsache, dass von „sich integrieren“
geredet wird. D.h. es involviert nur einen Teil und es ist eine Frage
des Willens und Könnens dieses Teils, vor allem des Willens.
Integrationswillen kann nur eine Gesellschaft als Ganzes haben. Hat
diese Gesellschaft einen Willen zur Integration? Und welche Teile
sind in diesen Prozess involviert?
Migrantenstadl:
20% Menschen in der Gesellschaft in Deutschland haben einen
sogenannten Migrationshintergrund. Unter den Journalist*innen haben nur 2% einen solchen Hintergrund. Wie kann man das
deuten?
Dr.
Liriam Sponholz: Das ist eine Frage, ein
Prozess, der nicht nur auf das Mediensystem zurückzuführen ist.
Wenn man sieht, wie viele Kinder mit einem Migrationshintergrund eine
Empfehlung für ein Gymnasium erhalten, erkennt man schon die erste
Ursache oder eine der ersten Ursachen. Das Ergebnis dieser sozialen
Ausgrenzung von Migranten, die sich auch im Mediensystem
widerspiegelt, ist die Entstehung von Begriffen, wie „Döner-Morde“.
Hätten wir mehr Journalist*innen mit Migrationshintergrund in den
deutschen Redaktionen, dann wäre es sicher den Redakteur*innen selbst
aufgefallen, was es bedeutet, Menschen als Döner zu bezeichnen.
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*Dr. Liriam Sponholz
promovierte in
Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig zum Thema
„Journalistische Objektivität“. Sie studierte Journalistik
(Bachelor) und Geschichte (Master) an Bundesuniversität von Paraná
(UFPR) und arbeitete mehrere Jahre als Journalistin in Brasilien,
bevor sie vor 10 Jahren als DAAD-Stipendiatin nach Deutschland kam. Derzeit
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Rassismus zwischen Konsens, Meinung und Tabu. Die publizistischen Kontroversen um Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson“ an der Universität Erfurt.
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Rassismus zwischen Konsens, Meinung und Tabu. Die publizistischen Kontroversen um Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson“ an der Universität Erfurt.
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