Distanziert Euch nicht!




Mit dem stetigen Vormarsch der Miliz ISIS in Syrien und Irak verschärft sich auch hierzulande der Tonfall. Mit Nachdruck fordert die Mehrheitsgesellschaft und solche, die gerne dazugehören würden, immer wieder von hiesigen Muslimen, sich „vom Terrorismus zu distanzieren“. Inhalt, Vehemenz, als auch Häufigkeit dieser Forderung irritieren zutiefst.



Von Imad Mustafa

Um es vorweg zu nehmen: Ich distanziere mich nicht vom so genannten Islamischen Staat. Warum sollte ich auch? Ich habe mit den Taten des IS oder dessen selbsternanntem Kalifen al-Baghdadi nichts am Hut. Ebenso wenig wie der Rest der Muslime hier in Deutschland. Ich lehne die Forderung nach einer Distanzierung ab. Mehr noch, sie geht an die Substanz, weil sie sich nicht auf etwas bezieht, was man persönlich gesagt oder getan hat. Wie soll man sich als Individuum dagegen wehren können? Lehnt man es ab, sich zu distanzieren, gerät man in den Verdacht heimlicher Sympathie. Geht man darauf ein, unterwirft man sich einem Rechtfertigungsdruck, der so anscheinend nur für Muslime gilt.


Niemand verlangt von "den Deutschen", sich als Deutsche von HoGeSa zu distanzieren, nachdem die Gruppe randalierend durch die Kölner Innenstadt gezogen ist. Auch hat niemand von "den Christen" gefordert, sich wegen des Kindesmissbrauchs in der Katholischen Kirche von dieser zu distanzieren. Während in beiden Fällen eine Forderung zur Distanzierung zu Recht an Absurdität grenzt, scheint sie recht und billig zu sein, wenn sie gegen "die Muslime" als Muslime erhoben wird. Nur ihnen kommt scheinbar ein einheitlicher Charakter, ein transnationales Bewusstsein zu, das sie alle verbindet, gleich macht, so dass man von "den Muslimen" sprechen darf.


Allzu häufig wird vergessen, dass fast alle Opfer des IS selbst Muslime sind, und dass sie die Milizen unter Einsatz ihres Lebens bekämpfen. Und schließlich: Nur ein verschwindend kleiner Teil der Muslime hier in Deutschland ist Anhänger militanter Strömungen. Trotzdem kommt denjenigen, die eine Distanzierung fordern, nicht in den Sinn, dass die allermeisten Muslime in diesem Land ganz selbstverständlich gegen diese Gewalt sind. Oder gilt diese Unschuldsvermutung für sie etwa nicht?


Für oder gegen uns

Nur so ist für mich zu erklären, dass Muslime immer wieder als Muslime angesprochen und gezwungen werden, sich zu positionieren oder zu etwas zu bekennen. Und nicht als gleichberechtigte Bürger. Dieser neokoloniale, islamophobe Diskurs schließt "den Muslim" aus unseren Reihen aus, macht ihn zum Objekt unseres anmaßenden Urteils und stellt ihn vor die Wahl: Entweder du bist auf unserer Seite, der Seite der Zivilisation und der Demokratie oder eben gegen uns und für die Barbarei.


Doch auch innerhalb der muslimischen Community gibt es keine eindeutige Haltung zu dieser Frage. Während sich Institutionen wie der Zentralrat der Muslime und die muslimischen Theologen in Deutschland bereits öffentlich distanziert haben, habe ich in den letzten Wochen in vielen Diskussionen erlebt, wie breit das Meinungsspektrum in dieser Frage ist. Und wie scharf die Gegensätze. Von der Befürwortung einer Distanzierung um der Integration und Anpassung Willen über Unentschlossenheit bis hin zur Ablehnung dieser Forderung ist alles dabei. Einig ist man sich nur beim Nein zum IS – unabhängig davon, ob es sich um säkulare, fromme, konservative oder liberale Muslime handelt.


Keine Frage: Der Kampf gegen den IS ist auch hier in Deutschland wichtig, um weitere verlorene Seelen davor zu schützen, in den vermeintlich Heiligen Krieg zu ziehen. Aber es ist kaum zu ertragen, wie im Namen der Sicherheit ein Diskurs voller Ressentiments geführt wird, der auf Kosten der deutschen Muslime und der Opfer in Syrien und Irak geht.


Wer Muslime unter Generalverdacht stellt, verhindert nicht, dass sich vor allem junge Männer empfänglich für die Propaganda der angeblichen Gotteskrieger zeigen. Pauschale Verdächtigungen erreichen schlimmstenfalls das Gegenteil.


Zuerst am 14.11. in der Sendung „Politisches Feuilleton“ auf Dradio Kultur ausgestrahlt.

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