Der Fall Jemen
Nun wird das ganze Ausmaß der Heuchelei der US-Politik offenbar. Erst nach wochenlangen Protesten im Jemen, auf die das herrschende Regime nur mit Gewalt zu antworten weiß, entziehen die USA dem Präsidenten, Ali Abdullah Saleh, die Unterstützung. Kissingers Bonmot „Er ist zwar ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn“ verliert angesichts der ausufernden Gewalt des Staatsapparats gegen die eigene Bevölkerung seine Gültigkeit.
Wollte die US-Menschenrechtspolitik nicht vollends unglaubwürdig und blamiert dastehen, musste sie Ali Abdullah Saleh, einen wichtigen Verbündeten in der Region, fallen lassen. Die gleiche Vorgehensweise konnte man zuvor in Ägypten beobachten.
Wer glaubte, dass die „internationale Gemeinschaft“ und an deren Spitze die USA einen Wandel in der Region unterstütze und an der Seite wirklich aller Volksbewegungen stehe, der irrt. Die US-Politik erschöpft sich hintergründig in einem „weiter so!“ da, wo es einen wichtigen strategischen Verbündeten gibt (auch wenn dieser sich aus Sicht der USA nicht auf Augenhöhe befindet) und mit einem „moment Mal, so geht das aber nicht!“ dort, wo ein strategischer Gegner (Syrien, Libyen, Iran) steht bzw. ein Herrscher, den man nicht so sehr mag, mit dem man aber eigentlich gerne Geschäfte macht (weshalb die „internationale Gemeinschaft“ zunächst gezögert hat, Libyen den Krieg zu erklären). Im Falle Tunesiens, Ägyptens und Jemens, hat man dem jeweiligen Potentaten eben den „Rückhalt“ entzogen, wie es so schön heißt. Bei ersteren führte dies bald danach zum Rücktritt des Herrschers, im Jemen lässt noch auf sich warten, was nicht mehr vermeidbar scheint: Der Rücktritt von Ali Abdullah Saleh.
Denn: Zum einen ist nicht vorstellbar, dass die desertierten Militäreinheiten bei einem Verbleib Salehs im Amt um den Preis der Unterwerfung sich wieder eingliedern werden. Wenn das Patt zischen Saleh und den Demonstranten also nicht gelöst wird, dann droht auf lange Sicht eine weitere Desintegration weiter gesellschaftlicher Teile, was im Extremfall zu einer Militarisierung des bisher friedlichen Protests führen kann.
Durch den „Entzug des Rückhalts“, haben die USA den Druck auf Saleh erhöht, weil es nicht in ihrem Interesse liegt, dass in einem weiteren arabischen Staat Bürgerkrieg und unkontrollierbare Verhältnisse herrschen. Die Polizeifunktion, die Saleh im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“ nach Innen für die USA ausübt, darf sich nicht in Krieg und Chaos auflösen. Deswegen werden sie über ihre anderen Partner am Persischen Golf, namentlich die GCC-Länder* weiter Druck auf ihn ausüben, um ihn möglichst schnell zu entfernen und eine offene Militärführung zu installieren. Diese wird dann, wie im Falle Ägyptens, die Aufgabe haben, den Übergang zu einer neuen Regierungsform zu orchestrieren. Erst die Zukunft wird zeigen, ob damit auch die Einführung einer neuen Herrschaftsform in diesen Ländern intendiert war.
Zum anderen gilt es, die Entschlossenheit der Bewegung auf keinen Fall zu unterschätzen. Seit Wochen und Monaten sind Hunderttausende auf den Straßen und treten friedlich für ihre Rechte ein, trotz einer bewaffneten Übermacht, die nicht davor zurückschreckt, in die Menschenmengen zu schießen.
Recht, Macht und Krieg in Libyen
In diesem Licht betrachtet, erscheint die Libyen-Invasion nun nicht mehr als humanitäre Intervention, wie gerne behauptet wird, sondern entlarvt sich selbst als Kriegseinsatz zur Durchsetzung eigener Interessen. Anders als der Jemen, wird das Land seit Wochen von NATO-Geschwadern bombardiert, weil hier mehr auf dem Spiel steht. Und genau hier disqualifiziert sich der westliche Humanismus und zeigt sein wahres Gesicht: Nicht die behauptete Rettung von Menschenleben ist der Auslöser des Bombenhagels auf Libyen – und nicht auf Ghaddafi, wie uns der Begriff „Krieg gegen Ghaddafi“ – vorgaukeln will, sondern eigene strategische wie ökonomische Interessen.
Durch seine geographische Lage am südlichen Mittelmeer spielt Libyen bei der Bekämpfung und Einsperrung der subsaharischen und nordafrikanischen Flüchtlinge den Büttel Europas. Als Gegenleistung darf es seine Ressourcen nach Europa verkaufen und sich zu den „Guten“ zählen. In solch einer Situation hat „Stabilität“, also die Bewahrung des Status Quo, oberste Priorität vor allem für EUropa. Dies erklärt auch den Eifer und das Vorpreschen Frankreichs als ein möglicher Kriegseinsatz innerhalb der „internationalen Gemeinschaft“ diskutiert wurde. Zudem wollen die europäischen Regierungen Flüchtlingsströme aus Libyen selbst in ihr Hoheitsgebiet verhindern. Der Jemen hingegen ist weit weg. Mögliche Flüchtlingsströme würden „uns“ nicht unmittelbar treffen. Und ökonomisch ist er zu unbedeutend, um einen teuren Kriegseinsatz zu rechtfertigen.
Zudem wird der Krieg ideologisch durch die paranoide Islamophobie befeuert, die hierzulande in der Öffentlichkeit grassiert und die Vorstellung von bärtigen, existentiell bedrohlichen Islamisten in der Gesellschaft manifestiert, die bei dem Volksaufstand an die Macht kommen werden, wenn „wir“ nicht einschreiten und für „Ordnung“ sorgen. Übersetzt heißt das nichts anderes, als die Führung eines Krieges mit dem Ziel, eine „uns“ genehme Regierung einzusetzen, die auch weiterhin tut, was „wir“ wollen, so lange „wir“ sie dafür ein wenig entschädigen – mit Geld oder Waffen.
Divide et impera!
Erste Anzeichen sprechen dafür, etwa Deutschlands Anerkennung des Übergangsrates von Benghazi als offizieller Repräsentant Libyens und Camerons Einladung an ebendiesen, eine Mission in London zu eröffnen. Auch Obama hat den Übergangsrat mittlerweile dazu aufgefordert, ein Verbindungsbüro in Washington zu eröffnen. Dabei scheint auch keine Rolle zu spielen, dass der in Downingstreet 10 empfangene Mustafa Abdul Dschalil, Libyens ehemaliger Justizminister, in den ersten Wochen des Aufstandes und dem Beginn seiner bewaffneten Niederschlagung an prominenter Position im Machtapparat Ghaddafis stand und so mutmaßlich verantwortlich für Kriegsverbrechen ist.
Dieser offensichtliche Widerspruch in der Politik der „internationalen Gemeinschaft“ scheint keinen weiter zu stören, so lange er bedeutet, dass man mit Libyen weiterhin Geschäfte machen kann.
Bomben bis zum bitteren Ende?
Durch ihr Vorgehen haben die NATO-Staaten das Ende der Bombardierungen an nur eine Bedingung geknüpft: Die gewaltsame Beendigung von Ghaddafis Herrschaft. Alles andere bedeutete einen schweren Imageschaden für das Bündnis. Ob das ganze ohne den Einsatz von Bodentruppen möglich ist, wird sich noch zeigen müssen, wahrscheinlich ist es nicht. „Frei“ werden die Libyer auf diesem Wege vielleicht, wobei sich manch einem die Frage nach dem „frei wovon?“ stellen mag. Mit Sicherheit jedoch, werden sie ärmer sein als zuvor.
* Der Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council) ist ein sicherheits- und wirtschaftspolitischer Zusammenschluss, der seit 1981 zwischen Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten besteht.
Imad Mustafa
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