"Der rassistische Dreisatz" - von Markus Omar Braun

Wenn Antisemiten und andere Rassisten ein Weltbild konstruieren:
Der rassistische Dreisatz

Ein Muslim, eine Muslimin, die es wagen, mit den radikaleren sogenannten "Islamkritikern" in vermeintlich intellektuellen Austausch zu treten, können sich mit der Erfahrung konfrontiert sehen, Teilnehmer an einem längst entschiedenen Spiel zu sein, bei welchem er, sie oder ihresgleichen nur als Verlierer vorgesehen sind. Meist findet nämlich gar keine unvoreingenommene Untersuchung auf geistiger Ebene statt, sondern lediglich ein intellektueller Schauprozess, dessen Ausgang geplant und daher vorgezeichnet ist.
Im Dreischritt zum unwiderleglichen Schuldspruch
Mit gewissem Recht kann die geistige Figur und Verlaufsform besagten und beabsichtigten Strafprozesses als Dreisatz der rassistischen Logik bezeichnet werden. Schiffer/Wagners Buch "Antisemitismus und Islamophobie – Ein Vergleich" gebührt nach Kenntnis des Verfassers dieser Zeilen für den deutschsprachigen Raum das Verdienst, auf besagtes hinterhältiges Konstrukt des rassistischen Diskurses erstmals in deutlicher Form verwiesen zu haben. Sabine Schiffer und Constantin Wager weisen durch ihre Untersuchung sein Vorhandensein und seine Mechanismen in der säkularisierten antijüdischen Hetze des Antisemitismus der Gründerzeit und folgenden Jahrhundertwende im kaiserlichen Deutschland, genauso wie in der jetzt virulenten "Islamkritik" und dem sie begleitenden "muslim-bashing" nach.
Markierung und Stigmatisierung
1. Schritt: Die anvisierte Gruppe wird mit einem ihr zugeschriebenen, unmoralischen Ziel identifiziert ("jüdische Weltverschwörung", "islamischer Imperialismus") oder gleich einem Bündel von Zielen, aus denen man sich je nach Anlass ein spezifisches aussuchen kann ("Zerstörung unser Kultur" ist so ein Bündelbegriff). Dabei werden die Unterschiede, die diese Gruppe in sich aufweist, vollständig glatt- und niedergebügelt. Es wird dem anderen, dem Fremden, die eigene Angst und die Umkehrung des eigenen Dominanzanspruchs als Absicht unterstellt: Der Andere ist nicht nur anders, sondern will anders sein; das ist seine Kampfansage, also will er uns so haben, wie er selber ist und uns auch kulturell erobern. Durch diese Neudefinition der anderen Gruppe wird deren ganze Gruppenkultur, im Falle der Muslime also die islamische Religion in einem Topf mit den örtlichen Kulturen der jeweiligen Herkunftsländer, ihres eigentlichen Sinnes entleert und nur mit einer Vorstellung aufgeladen: Die wollen uns mit ihrem Lifestyle plattmachen, erobern, überfremden.
Paranoia, die erste
2. Schritt: Mit so einer wuchtigen Denkvorschrift ausgestattet, sieht der Mensch natürlich die Welt ganz neu. Er sieht nicht nur Feinde, natürlich auch Freunde, alles entlang der vorher definierten Spaltlinie von "wir und die". Da diese nicht mit alten Feind-/Freundbildern übereinstimmen muss, sitzt zum Beispiel ein Giordano heute im Boot mit Leuten, die er gestern noch für Deutschlands geistigen Untergang gehalten hat. Alldieweil die neue Freundschaft sich nur negativ definiert, nämlich als gemeinsame Gegnerschaft zum neuen Feind, hält sich niemand groß mit dem Feiern der frisch entdeckten Liebe auf, sondern alle pflegen lieber den jüngst entdeckten Hass. Dort gibt es natürlich auch viel zu entdecken, ist doch, was dem neutralen Beobachter als harmlos, weil menschlich allzu menschlich, erscheint, jetzt bei Mitgliedern der markierten Gruppe verdächtig geworden. Der Rassist hat für sich die Kultur als Kampfgegenstand entwickelt und sieht deshalb in der seines Opfers einen einzigen Anschlag und einen einzigen Komplexe hinterhältiger Manöver. Aus dem Bauch jeder Muslimin wird – die demographische Bombe, und aus einem religiösen Akt – ein Kampfgebet.
Die ideologische Daumenschraube perfekt
3. Schritt: Da der Rassismus als Weltbild nur Freunde und Feinde kennt und für seine Wir-Gruppe einen Intimfeind, an dem sich seine Weltsicht abarbeiten kann, festgelegt hat, kann jedes Mitglied der so markierten Gruppe „unvölkischer Elemente“ nur noch alles falsch machen. Lässt er sich als mehr oder minder typischer bewusster Vertreter der „Leitkultur“ der Minderheitengruppe einordnen (also als Orthodoxer, Fundamentalist, Aktivist), dann zeigt er nur eines: Die verdienen nicht die gleichen Rechte wie wir, verstehen am Ende nur die Sprache der Gewalt und müssen schleunigst ab in ihr Ghetto, Reservat, Heimatland oder gleich in die ewigen Jagdgründe. Auf jeden Fall zeigt er durch sein obstinates Anderssein, dass er Respekt, Bürgerrechte, anständige Behandlung gar nicht verdient. Denkt man nun, der Assimilierte, gut „Integrierte“ mache alles recht, so irrt man gewaltig. Ist er arm, wird er gleich doppelt verachtet und man neidet ihm sein bisschen Transferleistungen, derer er teilhaftig wird. Gehört er zu den Gutsituierten, wird ihm das verargt, da Mitgliedern seiner Gruppe wohl eine Stelle als Putzfrau oder Müllmann, aber keine als Arzt oder Anwalt gerne zugestanden wird. Ist er gar Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer, so wissen Experten des „wir“-Bewusstseins, dass die Verschwörung zur Übernahme „unserer“ schönen Nation in vollem Gange ist und der Untergang des Abendlandes unmittelbar droht. Die bösartigsten Vertreter der als Unterwanderer (kollektive „Schläfer“ sozusagen) ausgemachten Minorität sehen Rassisten dann in den Strenggläubigen oder Aktivisten, die zugleich integriert sind. Bei den Muslimen verabscheut der Rassist daher am meisten jene, die ihr Leben eher strikt nach dem Islam ausrichten, aber hohe Bildungsabschlüsse anstreben und erreichen und dementsprechende Positionen in der Gesellschaft einnehmen, als Ärzte mit Bart und Professorinnen mit Kopftuch. Da wird in jedem und jeder einzelnen ein „Schläfer“ oder eher ein „Wacher“, d.h. Agent vermutet und ein Beweis der Zerstörung der eigenen Lebensart durch die als fremd abgegrenzte gesehen. Feindbilder können eben durch Fakten kaum widerlegt werden: „Ich habe nichts gegen …, einige meiner Freunde sind...“
Hermetisches Weltbild
Solange man diese gemeine und dumme Logik des Rassismus, der Feindbilderfindung und -pflege nicht durchbricht, spielt man mit auf dem Spielfeld der Rassisten, auch als Anti-Rassist verschiedenster Couleur (heute von Rassisten gerne als „Gutmenschen“ apostrophiert), und kann dort angesichts der oben skizzierten Spielregeln nur verlieren. Mit Rassisten diskutiert man nicht, außer die kriminelle Logik des Rassismus. Dr. Schiffer weist darauf hin, dass Rassismus keine Meinung, sondern im besten – oder vielleicht schlimmsten Falle? - intellektuelle Scharfmacherei sei, die der materiellen, physischen Gewalt gegen echte oder vermeintliche Angehörige der markierten Minderheit die Legitimation liefert und den Boden bereitet. Rassismus sollte also nicht nur analysiert, sondern wirksam geächtet und seine verbohrten Gurus als Hassprediger bloßgestellt werden.


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