Aktueller Bericht aus München, Part I

Das Geld geht zu Ende, dabei haben die Ferien erst begonnen. Ich werde mein Zimmer für die nächsten zwei Monate untervermieten müssen, mein kleines Zimmer, nicht mal ein Bett passt rein, Isomatte finde ich ohnehin bequemer, und asketisch zu leben eine Befreiung. Schränke fand ich schon immer blöd, ich hänge Hosen lieber an die Wand, genauso wie Tüten, Ohrringe und Mappen. Ich fühle mich mit den Bulgaren vom Hauptbahnhof verbunden, die wohnen auch zu 6 in einem kleinen Zimmer im Schichtwechsel. Apropo wohnen.



Gestern habe ich auf der Hauptstraße direkt vor meinem Hofausgang Shona kennengelernt. Ich saß auf einer Kieskiste vor der Einfahrt und wollte einfach nicht nach Hause. Die Sonne schien warm auf die Schwanthalerstraße. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei, Sonntagsstimmung. Außerdem kauerte der afghanische Nachbarsjunge wie so oft vor dem Gewerkschaftshaus rum. Ich wollte mit ihm abhängen. Irgendwann wird er schon mit mir reden, angucken tut er mich ja schon. Die anderen Kinder im Hof behandeln ihn wie einen Behinderten, dabei ist er alles andere als behindert. Der Junge ist eine eigene Marke. Und während ich so in meinen Gedanken versank, sprach mich aus dem Nichts ein junger Kerl mit pechschwarzen Haaren an. Was ich da mache, fragte er beim Vorbeigehen. Ich musste zugeben, dass ich tatsächlich gar nichts tat. Ich war mir kurzzeitig selbst suspekt in diesem Nichtstun. Ich hatte auch kein Eis zu schlecken. Auch kein Telefon auf dem ich rumtippen konnte.

Der Kerl fing an zu plaudern, dass er Iraker ist und auf der Suche nach einem Zimmer. Er fragte mich, ob ich was wüsste hier in der Gegend. Kurz habe ich mich gefreut, dass ich nicht die einzige bin, die Schwierigkeiten hat eine angemessene Bleibe zu finden. Er zeigte auf das Asylbewerberhaus. Ein Zimmer in dem Heim sei ihm lieber als das wo er jetzt wohne. Komischerweise hatte ich selber auch schon mal den Gedanken. Seine Bleibe war das Hotel Adjutant, direkt an der Paul-Heyse- Ecke Schwanthalerstraße. Ein Hotel. Das klang ganz nett in meinen Ohren. Ich muss wohl so interessiert geschaut haben. Der Typ hat mir vorgeschlagen mit zukommen und sein Zimmer anzusehen. Ich habe kurz gezögert. Will er mich jetzt abschleppen oder was? Dann habe ich mich ermutigt. Ich war neugierig.
Ein äusserst seltsamer Eingang war das. Keine Rezeption, nicht mal eine Theke, die darauf hindeutete, dass es einen Ansprechperson in dem Hotel gab. Am Treppenaufgang hing ein Zettel „Sprechstunde Bezirkssozialarbeit Dienstag von 14h bis 16h". In den Gängen standen ein paar Männer in lockeren Stoffhosen, rauchten Zigaretten. Metallaschenbecher aus den 50er Jahren hingen an den Flurwänden. Der Treppenaufgang war groß und aus Holz. Wir sind in das oberste Stockwerk gestiegen. Von dem Flur gingen einige Türen ab. Der Iraker sperrte direkt die erste Zimmertüre auf. 

Vier Betten, zwei Kleiderschränke, ein Waschbecken, PVC-Boden und ein Mini-Kühlschrank. Das Fenster war weit aufgerissen, von der Schwanthaler hat man ein paar Autos vorbeirauschen gehört. Mit drei weiteren Mitbewohnern lebt er in diesem ca. 20 qm großen Raum. Die anderen Mitbewohner waren nicht da, es lagen Klamotten, ein paar Bierflaschen und Schuhe herum, die Gardinen waren aus dem letzten Jahrhundert. Bisher kannte ich nur den Außenanblick und fand die graue Hausfassade mit den vergilbten Vorhängen total super. Von innen fühlte es sich anders an. 400 Euro Miete, hat Shona gesagt. Das musste wohl Vollpension sein oder ein Scherz. In der Gemeinschaftsküche standen zwei Elektroherde auf einer Metallplatte, sonst nichts, keine Schränke, kein Salz, kein Pfeffer. Am Fenster hing eine Schild „Darf nur vom Personal geöffnet werden“. Und an der Tür hing ein weiteres Schild „Die Tür muss immer geschlossen werden“.

Wir saßen noch ein bischen in seinem Zimmer. Shona hat mir Apfelsaft angeboten. Ich habe mich bedankt. Dann haben wir einige Minuten unbehaglich aus dem Fenster geschaut und wussten nicht was wir reden sollen. Ich war ein wenig mitgenommen von dieser seltsamen Welt, die sich hinter der Fassade eröffnete. Ich fand  es schlimm, dann wiederum normal. Ich konnte mich nicht entscheiden. Es war irgendwas zwischen tragisch bis tragbar. Ich habe mir vorgestellt, dass mein Vater als Gastarbeiter zu Anfangszeiten sicherlich genauso gelebt hat, in einem unheimeligen Männerwohnheim. Ich habe so getan, als fände ich das nicht weiter besorgniserregend. Nur die Höhe der Miete, über die habe ich mich offen aufgeregt. Dann habe ich Shona vorgeschlagen, sich meine 10qm Wohngelegenheit anzusehen.



4 Kommentare:

  1. Neulich einen Bericht über die Lidl-Näherinnen von Bangladesh gesehen. 15 Euro Miete, ein halbes Monatsgehalt, müssen Sie für ihre Wellblechhütte zahlen. Darüber wurde sich furchtbar aufgeregt. Da beschlich mich Der Gedanke, dass genau dies hierzulande auch gewollt ist.

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    1. die spannende Frage ist: wenn es gewollt ist, wie vernetzt und organisiert ist die verwaltung wirklich? ist der hotelbesitzer ein abzocker und gehirnamputiert oder schmiert ihn die stadtverwaltung? da muss ich tiefer in die materie dringen, glaube ich...

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