Die Kurdengebiete befinden sich im äußersten Nordosten des Landes um die Stadt al Qamishli und östlich davon. |
Das
Assad-Regime gerät immer stärker unter Druck. Die bewaffnete Opposition macht
Geländegewinne im Norden des Landes, während immer mehr Vertraute des Präsidenten dem Regime den Rücken zukehren. Die Flucht von Premierminister Riyad Hijab, der
sich kürzlich, nach gerade einmal zwei Monaten im Amt, nach Jordanien abgesetzt
hat, dürfte der Assad-Regierung einen besonders schweren Schlag versetzt haben.
Ein allzu baldiger Regimewechsel scheint jedoch unwahrscheinlich. Der Kern des
Sicherheitsapparats ist noch immer weitgehend intakt.
Dennoch
bringen sich schon jetzt die außenpolitischen Gegner Syriens in Stellung. Es
ist eine ungeschriebene Regel des politischen Spiels um Macht, Einfluss und
Kontrolle: Immer, wenn ein Bürgerkrieg ausbricht, dauert es nicht lange, bis
einer oder mehrere Staaten durch die Entwicklungen ihre Interessen gefährdet
sehen und in den Konflikt eingreifen. So ist es geschehen im langen
libanesischen Bürgerkrieg von 1975-1990, in den 1990er Jahren in Jugoslawien,
2011 in Libyen und heute in Syrien. Allen voran Israel und die Türkei arbeiten
bereits daran, die Entwicklungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Autonomie für die Kurden provoziert die Türkei
Nachdem
vor wenigen Wochen bekannt geworden war, dass Assad den Kurden im Nordosten des
Landes weitgehende Autonomierechte gewährt hat, um sich so ihre Loyalität zu
sichern, ließ der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan umgehend ein großes
Truppenaufgebot an der türkisch-syrischen Grenze auffahren. Er drohte, die
Türkei werde einen kurdischen Quasistaat auf dem Territorium Syriens niemals
akzeptieren und dies notfalls mit Gewalt verhindern.
Mit diesem Schachzug spaltet Assad die Exil-Opposition, verkörpert durch den mit dem Westen verbündeten Syrian National Council (SNC), weiter, der sich ohnehin nicht auf eine Lösung für die Kurdenfrage einigen konnte. Gleichzeitig wurden durch den Abzug syrischer Truppen aus diesem Gebiet dringend benötigte Ressourcen freigesetzt, die das Regime an anderer Stelle einsetzen kann.
Ein Eingreifen der Türkei könnte Israel und die Hizbollah aufschrecken
Berichte,
wonach Syrien den Standort seiner Chemiewaffen verändert hat, haben Israel auf
den Plan gerufen. Prompt ließ der israelische Außenminister Avigdor Liebermann
verlauten, dass eine Weitergabe syrischer Chemiewaffen an radikale Gruppen -
etwa an den mit Iran verbündeten Erzfeind Hizbollah - einen Kriegsgrund für
Israel darstelle. Angesichts der immer offensichtlicher werdenden machtpolitischen Konkurrenz
zwischen Israel und der Türkei war das eine äußerst brisante Erklärung: Im
schlimmsten Fall könnten sich israelische und türkische Truppen in Syrien
gegenüber stehen. Denkbar ist aber auch, dass beide Staaten ihnen willfährige Milizen aufbauen und ausrüsten, ein Prinzip, das in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren Anwendung im Libanon fand, als sich Syrien und Israel dort gegenüberstanden.
Die
mit Iran und dem syrischen Regime verbündete Hizbollah im Libanon würde
wiederum weder eine türkische noch eine israelische Intervention hinnehmen. Sie
könnte Kämpfer in die Berge um Lattakia schicken, in den Siedlungsraum der mit
ihnen verbündeten Alawiten, um von dort aus Operationen gegen ausländische
Truppen und die Milizen der Freien Syrischen Armee (FSA) zu führen.
Doch
auch innerhalb der von der Türkei und Saudi-Arabien unterstützten FSA könnte es zu Spannungen
kommen. Deren Kämpfer scheinen schon jetzt immer schwerer zu kontrollieren
sein. Sollte der sie einende Faktor - die Gegnerschaft zum Regime - durch den
Sturz Assads erst einmal hinfällig werden, könnten Verteilungs- und
Revierkämpfe zwischen den verschiedenen FSA-Einheiten ausbrechen. Je nachdem,
wie sich der Konflikt weiter entwickelt, könnte die FSA auch in
Auseinandersetzungen mit israelischen Truppen, der Hizbollah oder regimetreuen
Milizen geraten. Auch könnten FSA-Kämpfer in Auseinandersetzung mit kurdischen
Rebellen geraten, die schon jetzt vom Kurdenstaat im Nordirak bewaffnet und
trainiert werden und ihre neu gewonnene Autonomie um jeden Preis verteidigen
dürften.
Wozu
dieses Machtgerangel führen kann, hat sich im libanesischen Bürgerkrieg
gezeigt: Als das Land irgendwann zur Ruhe kam,
waren mehr als 100.000 Menschen bei den Auseinandersetzungen umgekommen und die
gesamte Gesellschaftsordnung war zerstört.
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