Warum die heutige Demokratie keine ist (yemezler!) und warum Marginalisierte die Hoffnungsträger der Demokratie sind.
Demokratie braucht Unruhen!
von Tunay Önder
Im
derzeit herrschenden Diskurs über Gesellschaftssysteme wird der „Triumph
der Demokratie“ gefeiert. Während die als totalitär bezeichneten
Systeme im wahrsten Sinne des Wortes Bankrott gegangen sind, glauben wir
an die Fähigkeit und Wirksamkeit der demokratischen Herrschaftsform,
die Bedingungen der Gemeinschaft, die Produktion von Reichtum
sicherstellen zu können - trotz der weltweiten und anhaltenden
Wirtschaftskrise. Die Legitimation der Demokratie wird ihr nicht nur
aufgrund des wirtschaftlichen Sieges zugeschrieben. Sie wird gemeinhin
erachtet als die gerechteste und beste Herrschaftsform, welche die
Volkssouveränität durch ausgeklügelte Ideen der Gewaltenteilung, des
Konsens-Prinzips, Mitbestimmung, Pluralismus, öffentliche Meinung in
unvergleichbarer Weise gewährleiste.
Bei
näherer Betrachtung lässt sich aber beobachten, dass die gegenwärtigen
Demokratien nicht die beste Praxis des Politischen gewährleisten,
sondern ganz im Gegenteil das genuin Politische schlichtweg abschaffen.
Jacques Rancière veranschaulicht dieses Sichtweise, indem er auf den
Begriff der 'konsensuellen Demokratie' verweist. Er erkennt in dieser
Vorstellung die „Verbindung widersprüchlicher Ausdrücke“. [1]
Die
konsensuelle Demokratie erweist sich als eine idyllische Vorstellung
eines Gemeinwesens, in dem ein Ausgleich zwischen allen
gesellschaftlichen Gruppen möglich ist. Sonja Asal vergleicht die
konsensuelle Demokratie mit einer großen Maschinerie, „deren Räderwerk
durch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen und individuellen
Forderungen und Ansprüche angetrieben und in einen störungsfreien
Gleichlauf versetzt“ wird.[2]
Rancière bezeichnet es als Praxis „einer restlosen Übereinstimmung zwischen den Formen des Staates und einem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse“. [3] Dies ist aber nicht zu vereinen mit tatsächlicher Demokratie, in welchem Rancière die immer wiederkehrende Unterbrechung der herrschenden Ordnung als ihr zentrales Prinzip bestimmt.
Rancière bezeichnet es als Praxis „einer restlosen Übereinstimmung zwischen den Formen des Staates und einem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse“. [3] Dies ist aber nicht zu vereinen mit tatsächlicher Demokratie, in welchem Rancière die immer wiederkehrende Unterbrechung der herrschenden Ordnung als ihr zentrales Prinzip bestimmt.
Wenn man also „unter Politik etwas anderes versteht als die Organisation der Körper in der Gemeinschaft und die Verwaltung der Plätze, Mächte und Funktionen“, dann muss man akzeptieren, dass das Verhältnis zwischen den Teilen der Gesellschaft „nicht anders als strittig sein kann und dieser Streit sich im Grunde durch keine noch so ausgeklügelte Arithmetik auflösen lässt“.[4]
Mit
Rancière gesprochen entfaltet sich daher die volle Bedeutung von
Politik, wenn man sie vom Rand her denkt, und zwar dort, wo sich
Sklaven, Proletarier, 'Papierlose', Asylanten zu Wort melden und ihren
Ansprüchen und Forderungen einklagen. Dieser Ort des Politischen, des
genuin demokratischen Streits um die Gestaltung des öffentlichen Lebens
weicht in den gegenwärtigen Demokratien der Logik des Konsens'.
Demokratien sind aufgrund ihres konsensuellen Prinzips zu Orten der
Entpolitisierung geworden.
Es
ist treffender die so genannten liberalen Demokratien.in denen wir
leben, „Post-Demokratien“ zu nennen. [5] Entgegen der ersten Assoziation
darf man den Begriff der Post-Demokratie nicht als zeitgemäße Form
einer Demokratie im postmodernen Zeitalter verstehen. Post-Demokratie
impliziert ebensowenig, dass alle Hoffnungen aufgegeben wären. Unter
Post-Demokratie ist primär eine entpolitisierte Form der Politik zu
verstehen, in der es nur um die Kanalisierung und also staatliche
Disziplinierung politischer Energien geht. [6]
Post-Demokratie ist also Post-Politik. Zentral an ihr ist ihre Outputorientierung was meint, dass die Entscheidungslegitimation nicht mehr durch den Input und der Zustimmung der Regierten abgeleitet wird, sondern davon, dass effektive Programme dem Allgemeinwohl dienen und dem Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit genügen. Diese entpolitisierte Form in Demokratien gibt sich innerhalb heterogener Gesellschaften beispielsweise am Umgang mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Lebensauffassungen deutlich zu erkennen.
Lebensauffassungen konkurrieren gewöhnlich miteinander oder schließen sich sogar oftmals gegeneinander aus, so dass man mit heftigen Streitereien über die Gestaltung des öffentlichen Lebens rechnen muss.
Post-Demokratie ist also Post-Politik. Zentral an ihr ist ihre Outputorientierung was meint, dass die Entscheidungslegitimation nicht mehr durch den Input und der Zustimmung der Regierten abgeleitet wird, sondern davon, dass effektive Programme dem Allgemeinwohl dienen und dem Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit genügen. Diese entpolitisierte Form in Demokratien gibt sich innerhalb heterogener Gesellschaften beispielsweise am Umgang mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Lebensauffassungen deutlich zu erkennen.
Lebensauffassungen konkurrieren gewöhnlich miteinander oder schließen sich sogar oftmals gegeneinander aus, so dass man mit heftigen Streitereien über die Gestaltung des öffentlichen Lebens rechnen muss.
In
liberalen Demokratien jedoch begegnet man dieser genuin demokratischen
Eigenart durch die Schaffung von Konstrukten – wie beispielsweise dem
der 'multikulturellen Gesellschaft' – ohne den kulturellen oder
religiösen Unvereinbarkeiten Rechnung zu tragen. Dass dieses Konstrukt
nichts weiter ist als „ein illusionäres Kitschgebilde […], in der alle
Ethnien und Kulturen friedlich zusammenleben und jede ihren
folkloristischen Beitrag zum bunten Ganzen beisteuert“, zeigte sich im
Falle der Kopftuchdebatte. Hier konnte das imaginäre Konstrukt der
'multikulturellen Gesellschaft' den divergierenden Forderungen
offensichtlich nicht standhalten.
Den
politischen Streit um das kulturelle Leben im genuin demokratischen
Sinne zuzulassen, hieße, dass jeder in der Entscheidung über öffentliche
Angelegenheiten mitbestimmen darf und jede Stimme gleich viel zählt, so
dass die vorherrschende Ordnung immer wieder durch gesellschaftliche
Gruppen, die in ihr nicht oder nicht ausreichend repräsentiert sind, in
Frage gestellt und in der Konsequenz das vorherrschenden Machtgefüge
unterbrochen werden müsste.[7]
Slavoj
Zizek beschreibt diese gegenwärtige westlich liberale Politik als einen
Zustand, in der nicht mehr die öffentliche Debatte und eine
Politisierung gefragt ist, sondern lediglich ideologiefreie Ideen, die
in einem gegebenen, global-kapitalistischem Rahmen funktionieren. Dabei
wird eine Menge an Experten, globalen Sozialarbeitern und anderen
aufgeboten, um konkreten politischen Forderungen zu begegnen und damit
zu verhindern, dass sie sich verallgemeinern oder systemisch auswirken
können.[8]
Angesichts
der hohen Legitimität und Autorität demokratischer Systeme und
angesichts der sich umfassend vollziehenden Demokratisierung der Welt,
erscheint es umso dringlicher die universalistischen
Entpolitisierungsmechanismen der herrschenden Demokratien zu sehen.
[1] Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, 2002, S.105
[2] Sonja Asal, Die Demokratie und ihre Verächter. In: Le Monde Diplomatique, Mai 2006
[3] Jacques Rancière, ebenda, S.111
[4] Sonja Asal, ebenda
[5] Jacques Rancière, ebenda, S.105
[6] Vgl. Wikipedia
[7] Sonja Asal, ebenda
[8] Slavoj Zizek, Ein Plädoyer für die Intoleranz, 1998
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