Zucken, Zappeln, Kratzen, Stöhnen: Emre Akal dekonstruiert mit "Schafspelzratten" die Identität
der Migranten im Import-Export bis zur Erlösung
Das
Thema Migration auf die Bühne zu bringen, ohne dabei die gewohnten
Machtverhältnisse zu reproduzieren, ist wahrlich eine
Herausforderung und womöglich so schwierig wie die Integration
selbst. Definitionsmacht über Inhalt und
Ästhetik bleiben oft in gewohnten Händen, während Experten der Migration als
„Auftragnehmer“ eingesetzt, angewiesen und vorgestellt werden.
Emre Akal, bayerisch-türkischer Regisseur, setzt dagegen auf
Selbstbestimmung. Statt Schiller und Shakespeare gibt es entzückende
Geschichten von platzenden Kostümen, Huren und Nonnen.
Die Schafspelzratten, so heißt sein aktuelles Stück, erhielt die
Debütförderung der Stadt München und wurde vergangenen Freitag
uraufgeführt.
Der Ort
des Geschehens ist der ehemalige Süpermarket in der Goethestraße,
der seit zwei Jahren unter den Top-Dealplätzen Münchens rangiert.
Ein Umschlagplatz für Musiker, Partyleute und die Bulgarenpartei.
Nun findet endlich mehr Theater statt im Import-Export.
Auf der
Bühne stehen zwei Prototypen des Gastarbeiters: Eine Türkin und ein
Türke, dargestellt von Erkin Akal und Suna Tan. Sie sinnieren
abwechselnd ihre Erinnerungen herbei, die der Regisseur aus hunderten
von Interviews mit Gastarbeitern zusammengestrickt hat. Die
Geschichten handeln von den Eindrücken und Begegnungen in
Deutschland: der erste Kontakt mit Annas Lippen, gähnende Leere auf
deutschen Straßen, Ladenschlusszeit, Frauenwohnheim,
Fließbandarbeit, Wohnungen mit Etagenklo, richtiger Sex, Cha-Cha-Cha
und Disko-Fox. Willkommen in Doyçland.
Auf
der hinteren Ebene stehen zwei weitere Figuren: Arno Friedrich und
Anja Neukamm spielen den brodelnden Untergrund des Migranten-Daseins.
Wenn die Identitätsfalle zuschnappt und die Integration nicht
klappt, dann platzt es. Da hat man sich den beschissenen
Ausländerakzent endlich abgewöhnt, spricht tiefstes bayerisch,
presst sich in ein verdammtes Dirndl, und zieht sich nicht mal mehr
die Schuhe aus, wenn man heim kommt, „und dann steht plötzlich
jemand hinter dir und fragt, wo du eigentlich herkommst“.
Die
Besetzung ist ironisch und politisch zugleich. Gerade die beiden
Schauspieler mit deutschem Hintergrund bringen das
Verdrängte, Verleugnete und Unterdrückte der Migranten zur Sprache.
Sie sind es, die leiden müssen und stellvertretend die migrantische
Erfahrung von Anpassungsdruck, Ohnmacht und Willkür zum Ausdruck
bringen. Sie kämpfen, ringen, kratzen, röcheln: atemlos und
ausweglos stehen sie vor der Frage nach dem Zugang zum System, zur
Gesellschaft. Ihm platzen die Worte im Mund. Sie klettert mit dem
rosa Tütü die Wände hoch.
Der
Regisseur dekonstruiert die beiden Figuren regelrecht, er
dekostümiert sie, lässt alle Nähte platzen, bis auf die Unterhose.
Arno Friedrich katapultiert sich schließlich zuckend und zappelnd in
einen Orgasmus, der genauso krank rüberkommt wie die staatliche
Bemühung um die Integration der Migranten.
Die Schafspelzratten
ist eine Reihe von vortrefflichen Metaphern für all das, was auf dem
Weg der Wanderung auf der Strecke blieb, was nicht erzählt, gezeigt,
gesehen und gefühlt wurde. Es erzählt aus der Perspektive der
ersten, zweiten und dritten Generation, von Gastarbeitern bis zu
Diplom-Deutschländern, von den Identitätskämpfen zwischen
Auswandern und Ankommen, von Entscheidungszwängen zwischen „Hure
oder Nonne, Bauchtanz oder Ballett“.
Wenn
Emre Akal mit seinen Neuperlacher Homies und anderen Profis die Bühne
rockt, scheint die "Schiller-Hürde"
für einen Moment überwunden zu sein. "Hadi
Tschüss" bürgerliche Tradition! Servus Almanya! Mit diesem
Ansatz eröffnet die Inszenierung von Emre Akal den Beginn einer
autonomen Theaterarbeit mit postmigrantischem Selbstverständnis in
München.
Tütütü
maşallah...
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DieSchafspelzratten! Eine
migrantische Live-Studie. Text /Regie Emre Akal.
Mit
Suna Tan, Anja Neukamm, Erkin Akal, Arno Friedrich.
Letzte
Aufführung: 26.5.2012, 20h im Import-Export, Goethestraße 30, 80336
München
Tja...letzte Aufführung: 26.5. - Sanne retour: 29.6....mal wieder knapp verpasst...
AntwortenLöschenWährend ich also langsam ge'n Bayern migriere eine Frage: kann man euren Blog als E-Mail Abo bekommen? ("Follow Blog" oder irgend sowas in der Art...)
Lieben Gruß aus Israel, S.
hey sannekurz,
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viel spaß beim lesen!