von imad mustafa
Photos im Text: Alan Gignoux "Homeland Lost"
Der Schlüssel ist für die Palästinenser zum Symbol der Rückkehr in ihre Häuser geworden. |
Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel auf dem Territorium des
Mandatsgebiets Palästina [1] ausgerufen und die Vertreibung von 750.000
Palästinensern aus ihren Häusern, Dörfern und Städten erlebte ihren Höhepunkt. Damit
jährt sich heute die Nakba, die palästinensische „Katastrophe“, zum 64. Mal.
Nachdem die Palästinenser im November 1947 den Teilungsplan
der Vereinten Nationen für Palästina abgelehnt hatten, intensivierten sich die
Vertreibungen, die im Spätsommer 1947 begonnen hatten. Kampfhandlungen zwischen
der Haganah und versprengten Einheiten der arabischen Befreiungsarmee [2] kamen
hinzu. Letztere konnte gegen die besser ausgerüsteten und zahlenmäßig weit
überlegenen jüdischen Verbände wenig ausrichten.
Bei der Eroberung des palästinensischen Territoriums gingen
die zionistischen Einheiten systematisch vor: ethnische Säuberungen, die gezielte
Zerstörung hunderter palästinensischer Dörfer und die gewaltsame Eroberung der
urbanen Zentren palästinensischen Lebens sind im kollektiven Bewusstsein der
Palästinenser untrennbar mit der Staatsgründung Israels verbunden.
Für die Palästinenser markierte der arabisch-israelische
Krieg von 1947/48, die Israelis nennen ihn Unabhängigkeitskrieg, den Beginn von
Exil und Fremdherrschaft.
Für die Juden in Palästina, insbesondere für diejenigen, die
vor dem Faschismus in Europa geflohen waren, verhieß die Staatsgründung
hingegen Sicherheit und Freiheit von Verfolgung. Auf tragische Weise sollten
sich das Trauma und das daraus erwachsene Schutzbedürfnis, das der Holocaust im
kollektiven Bewusstsein der Juden verursacht hatte, mit dem Sendungsbewusstsein
der jüdischen Nationalbewegung verbinden und geradewegs in die Nakba münden.
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass beide
Kollektive, deren Schicksal auf so enge Weise miteinander verwoben ist, ihr
erlittenes Übel als „Katastrophe“ bezeichnen, ha-Schoa und an-Nakba.
Dennoch wird in Deutschland der Nakba nicht gedacht. Wie
auch, will man angesichts der deutschen Geschichte fragen. In einem Land, das
die Sicherheit Israels zu seiner Staatsräson erklärt, scheint ein Gedenken an
die palästinensischen Vertriebenen ausgeschlossenen.
Und doch ist das der falsche Schluss aus der Geschichte. Eben
weil Deutschland für Israels Sicherheit bürgt, muss der Nakba hier gedacht
werden. Nur durch ein Anerkennen und Würdigen der Leidensgeschichte der
Palästinenser, die mit der Gründung des Staates Israel und seinen
Entstehungsbedingungen verbunden ist, und eine zumindest symbolische Geste der
Wiedergutmachung, kann es zu einer dauerhaften Aussöhnung zwischen Israelis und
Palästinensern kommen.
Die deutsche Politik muss erkennen, dass es Israel mehr
schadet als nutzt, wenn man seine Verweigerungshaltung, einen aufrichtigen, gleichberechtigten
und umfassenden Dialog mit den Palästinensern zu führen, unterstützt.
Wegen der einmaligen Beziehungen, die heute zwischen
Deutschland und Israel bestehen, kann Deutschland die Rolle eines ehrlichen
Vermittlers zwischen beiden Seiten einnehmen und diese zu einem gerechten Friedensschluss
auf Augenhöhe führen. Verhandlungen zwischen Herr und Knecht gehören auf den Scheiterhaufen
der Geschichte.
Nach 64 Jahren des andauernden Leids und des Exils, der Erinnerung
und der Hoffnungslosigkeit scheint es wie eine ferne Utopie, für die es sich aber zu kämpfen lohnt. Um der
Gerechtigkeit willen, um der Sicherheit Israels willen.
[1] Als das Osmanische Reich nach der Niederlage im Ersten
Weltkrieg zerfiel, erteilte der Völkerbund Großbritannien 1922 das Mandat über die ehemalige
Provinz Palästina, um es nach einer Übergangszeit in die Unabhängigkeit zu
entlassen.
[2] Haganah, wörtlich „die Verteidigung“,
war eine zionistische Miliz, die in den ersten Jahren nach ihrer Gründung aus
dem Untergrund heraus operierte und nach der Staatsgründung Israels in die
offiziellen Streitkräfte eingegliedert wurde.
Die arabische Befreiungsarmee wurde im
November 1947 in Syrien zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung vor den Angriffen
und Vertreibungen der Haganah und anderen zionistischen Milizen gegründet.
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