Nicht nur anderswo, sondern hier und jetzt, mitten unter uns:
Rassismus tötet
Von Markus Omar Braun
Dass Rassismus tödlich sein kann, ist vielen bekannt, aber immer noch zu wenigen. Dass Rassismus getötet hat, lässt manchen an Auschwitz denken: Stimmt! Es lässt manche an den Völkermord an den Armeniern denken: Stimmt! Es lässt viele Araber aber zu wenige Europäer an Sabra und Schatila denken: Stimmt! Es lässt kaum jemand an die schier endlosen Kriegs- und Kolonialverbrechen fast aller westeuropäischen Staaten in Afrika denken: Warum denn nicht, da es doch stimmt!?
Rassismus+Waffen=Tote
"Rassismus tötet!" gemahnt viele der Verbrechen der Nazis bei uns und des Ku-Klux-Klan auf der anderen Seite des Atlantik: Stimmt! Aber es lässt kaum jemand an europäische Polizisten denken, die, mit Schwarzen, mit Farbigen konfrontiert die Waffe viel lockerer als sonst sitzen haben: Warum denn nicht, um Gottes Willen? Will man etwa leugnen, dass Farbige, Ausländer und andere als Minderheiten erkenntliche und auch leider stigmatisierte Menschen dem durchschnittlichen westeuropäischen Streifenpolizisten, dem amtlichen Waffenträger und -benutzer als krimineller, gefährlicher und gewalttätiger als der "weiße" "Normalbürger" gelten? Warum soll gerade die Polizei hier besser sein als die Mehrheitsgesellschaft, etwa weil sie der Hort der Reflexion und Selbstkritik wäre? Sind "law and order", Inbegriff der Vorstellungen vieler Polizisten vom Sinne ihrer Arbeit, nicht zugleich Synonyme für den Hang eher zu gesellschaftlicher Repression als Reform geworden?
Kein Bedarf für "bloody law"
Rassismus ist in der Tat nicht eine Krankheit der Polizei, sondern der ganzen Gesellschaft. In einer Gesellschaft, die dieses Problem nicht angeht, wird es sich an vielen Stellen mit schlimmen Symptomen äußern, zuerst aber auch an den Stellen, an denen Gewalt regelmäßig ausgeübt wird – also auch an der Stelle, an der legalisierte Gewalt ausgeübt wird, den bewaffneten Vollzugsorganen und unter anderem der Polizei. Dass in der berufsmäßigen Bewaffnung und Ausbildung und Anleitung zum Waffengebrauch viele Probleme verborgen liegen, ist allen Fachleuten klar und in verfassungsgebundenen modernen Rechtsstaaten in der ungeheuren Verrechtlichung des Waffengebrauchs von Staatsdienern in Friedenszeiten abgebildet: Kein abgegebener Schuss eines deutschen Polizisten im Dienst, ohne dass das Verhalten des Beamten in dieser Situation danach förmlich auf rechtliche Korrektheit untersucht werden muss.
Ohne Kontrolle kann Vertrauen schlecht sein
Beamte müssen entsprechend ihrem Diensteid "unparteiisch" sein – sind es aber nicht immer. Wie auch, wenn ihre Dienstherren mit wenig gutem Beispiel voran gehen und nicht sanktioniert werden? Ein Vollzugsbeamter, der potentiell tödliche Gewalt ausübt, darf sich bei dabei keinen Fehler leisten – aber welcher Mensch ist fehlerfrei? Im Allgemeinen wissen "wir" das auch, und jeder vernünftige Mensch ist sich darüber im klaren, dass die Gewaltausübung der Polizei im Dienst durch das Dienstrecht strengstens reglementiert und kontrolliert werden muss. Nicht nur, um das Leben der Bürger schützen, sondern auch die Polizisten davor zu bewahren, ohne solche Kontrolle zu schießwütigen Sheriffs zu degenerieren. Im Allgemeinen ist "uns" klar, dass hier die Polizei viel Aufsicht benötigt – warum ändert sich das, wenn die Opfer eine andere Hautfarbe haben?
Auch in Deutschland: "white supremacy"
Rassismus ist sehr häufig die Ideologie einer Aristokratie, von Menschen, die sich von Geburt an für etwas Besseres halten, meist, weil sie mit ihrer Geburt auch irgendeinen Zugang zu größerer Macht geerbt haben. Rassismus ist daher, auf ganze Nationen bezogen, verbreitet in Ländern und Völkern und Volksgruppen, die beständig die anderen erobern, statt selber erobert zu werden. Deutschland meint heute, den Judenmord, die Shoah, überwunden zu haben: "Wir" leisten doch beständig Abbitte und "Wiedergutmachung"! Gerne vergessen wird dabei der lange, große Kolonialzug nach Palästina, "Kreuzzüge" genannt, und der Kreuzzug nach Osten, die "Slawenmission", mit nachfolgender blutiger Kriegs- und Kolonialgeschichte im Osten bis zum Zweiten Weltkrieg mit seinem Völkermord nicht nur an Polen und Russen. Vergessen auch die Kolonien des wilhelminischen Zweiten Reichs in Afrika, was in der mörderischen Auslöschung der Mehrheit der Herreros, von Männern, Frauen und Kindern, Alten und Jungen gipfelte.
Deutschland: Reich, selbstgefällig, rassistisch
Die Bundesrepublik zählte – im Unterschied zur DDR – von Anfang an in Wahrheit zur Siegerseite des Zweiten Weltkriegs; die alten Erbfeinde Araber und Muslime, neu auch die Türken, Afrikaner und Osteuropa, alle sind aber auch heute "unten", sie sind "uns" unterlegen. Beim Hochmut ihnen gegenüber kann auch der ärmste "Deutsche", wenn er will, sich bestätigen, doch nicht das ärmste Schwein auf der Welt zu sein. Insbesondere denken aber viele Vertreter von Kleinbürgertum und Bourgeoisie, sie verdienten ihren besseren Status als "weiße" "Abendländer" eben von Geburt an und sind insofern Rassisten. Die dazu nötigen Stereotype brauchen sie gar nicht erfinden, die hält eine Nation mit so reicher, ungebrochener Kriegs- und Kolonialgeschichte in ihrer Kultur solange bereit, bis sie bereit ist, sich durch ehrliche Selbstkritik und Reflexion zu reinigen.
Rassismus: nicht angeboren, aber anerzogen
Solange sie das aber nicht tut, lernt jedes Kind, lernt jeder Jugendliche dieser Gesellschaft einen ganzen Rattenschwanz von abwertenden Stereotypen, durch die zum Beispiel Farbige mehrfach zu schlechteren, unmoralischeren, schmutzigeren oder fauleren Individuen (!) als entsprechende "Weiße" erklärt werden. Die "weiße" Deutsche, die sich nur ängstigt, weil der Mann hinter ihr ein Schwarzer ist, meint das nicht böse. Sie denkt sich nicht viel dabei, das Problem sogar: sie ängstigt sich am Ende mehr, wenn sie gar nicht denkt, sondern nur fühlt! Den Rassismus hat sie ja, wie jedes Mitglied der Mehrheitsgesellschaft wie mit der Muttermilch durch ihre Sozialisation nicht nur im Elternhaus, sondern auch durch den enormen Normierungsdruck der Gesellschaft eingesogen. Dass die Frau das nicht böse meint, heißt aber nicht, dass die Sache harmlos wäre: Gerade in der subjektiven Harmlosigkeit dieses Rassismus kann die Quelle eines ungeheuren gesellschaftlichen Bösen liegen.
Kleinhirn meldet: Der Dunkle ist der Böse
Als Marwa El-Sherbini eindeutig aus rassistischen Motiven ermordet wurde, eilte als einer der ersten ihr Gatte Elwy Okaz zu ihrer Hilfe, nur um selbst zum Opfer der Gewalt des Mörders seiner Frau zu werden. In den sich entwickelnden Kampf der Männer, deren einer, der "weiße" Europäer mit einem 30 cm (!) langen Kampfmesser bewaffnet eindeutig der Angreifer und Täter war, griff ein herbeieilender Polizist schießend ein und traf Elwy Okaz so schwer ins Bein, dass dieser fast verblutet wäre. Dr. Sabine Schiffer äußerte in einem Interview mit IRIB, dass dieser Schuss "sicherlich" " aus rassistischen Gründen" erfolgt sei. Die von Schiffer angedeutete Spur – obwohl wissenschaftlich hervorragend belegt – wurde nicht verfolgt. Die gegen Schiffer erfolgten Morddrohungen wurden auch nicht verfolgt, verfolgt wurde erst einmal Sabine Schiffer, wegen angeblich "übler Nachrede" gegenüber dem Polizisten. Dabei setzte die Staatsanwaltschaft flugs "Gründe" mit "Motiven" gleich, strich dem "sicherlich" die relativierende Nachsilbe, und zeigte damit zugleich ihr enormes Wissensdefizit. Deutsche Justiz- und Verwaltungseliten müssen anscheinend über menschliche Entscheidungs- und Handlungsmechanismen zu großen Teilen nicht mehr wissen als ihre Urgroßväter unter Wilhelm Zwo. Gott sei Dank ist diese Tatsache dann doch nicht zum Verhängnis von Dr. Schiffer und ihrem Institut geworden – der Richter in ihrem Verfahren erkannte nämlich die Unsinnigkeit der Anklage. (1)
Tod im Jobcenter - von Polizei erschossen
Auch jetzt sind nicht nur in Psychologie mittelmäßig gebildete Bürger geneigt, rassistische "Motive" und "Gründe" bzw. "Hintergründe" beim Tod von Christy Schwundeck auszuschliessen, alle drei Begriffe gleich setzend. (2) Christy Schwundeck wurde von einer Polizistin in wohl vermeintlicher Notwehr im Jobcenter Frankfurt-Gallus niedergeschossen, als sie – nach bisherigen Berichten – vermutlich deren Kollegen mit einem Messer von 11 cm (!) Länge attackierte. Was in beiden Fällen übersehen wird: in einer extremen, körperlichen und seelischen Stress-Situation wie der, in der sich die Polizisten befanden, denkt niemand mehr bewusst nach. Vielmehr wird das Stirnhirn, das für Reflexion zuständig zeichnet, abgeschaltet, es ist ja auch fürs langfristige, nicht für das kurzfristige Überleben da. Stattdessen reagiert der Mensch nur noch auf der Ebene angelernter Reflexe und Kategorien. Diese kann man auch mit Videospielen testen. Bei einem solchen Test fanden Psychologen heraus, dass wohl Afro-Amerikaner mit weit größerer Wahrscheinlichkeit von "weißen" Polizisten zu Unrecht für gefährlich gehalten und in einer Krisensituation erschossen würden, als dies "weißen" Bürgern in der gleichen Lage geschähe. (3)
Mir san mir, da haben Farbige nichts zu lachen
Dieselben Videospiele erlaubten aber in der Hand von Sozialpsychologen, nicht nur Polizisten auf unbewusste rassistische Reflexe zu überprüfen, sondern auch, sie ihnen abzutrainieren – und sie zugleich auf jedwede Krisensituation besser vorzubereiten. Die Radikalität aber, mit der solche Fragen wie im Erlanger Justizskandal vom Tisch gewischt werden sollen, zeigt, dass das Problem weniger im Denken und Handeln der einzelnen Polizisten, als vielmehr in einer unheimlichen Allianz von Politik, Justiz, Polizeiführung, Medien und (im-)moral majority begründet liegt. Das deutsche Groß- und Kleinbürgertum will sich schlicht und einfach einer hässlichen Seite nie bewältigter Großmachtträume, dem verbreiteten "weißen" "abendländischen" Rassismus nicht stellen. Wir werden, wenn es dabei bleibt, auf das nächste Polizeiopfer nicht lange warten müssen. Farbige und die Mehrheit der Migranten sind immer noch Menschen zweiter, dritter oder fernerer Klasse in diesem Lande, jedenfalls nach der Behandlung ihrer Belange durch zu viele Mitbürger und vor allem die (Un-)Verantwortlichen.
Der Beitrag erschien zuerst am 23.06.2011 in der Neuen Rheinischen Zeitung Online, www.nrhz.de.
Anmerkungen/Links:
(1) Zum Mord an Marwa El-Sherbini und allen folgenden Skandalen, vgl. die entsprechenden Berichte in der NrhZ:
Vergleiche auch die Dokumentation des Prozesses gegen Sabine Schiffer auf der Website des Institutes für Medienverantwortung, das sie leitet:
(2) Zur Affäre um die ungeklärten Umstände des Todes von Christy Schwundeck vgl. die Berichterstattung der NrhZ:
(3) Siehe u.a. Seite 35 des hervorragenden Sammelbandes: Lars-Eric Petersen u. Bernd Six (Hrsg.), Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Beltz Verlag, Weinheim/Basel, 2008, 34,95 Euro.
Das Buch auf der Website des Verlages: http://www.beltz.de/de/psychologie/themen/titel/stereotype-vorurteile-und-soziale-diskriminierung.html .
Die Daten des Buches nach Libri (zur Bestellung beim kleinen Buchhändler, viele deutsche Bücher sind so in der Regel bis zum nächsten Werktag lieferbar): http://www.libri.de/shop/action/productDetails/7081861/stereotype_vorurteile_und_soziale_diskriminierung_3621276459.
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