Zugegeben: Ich möchte mich hier ein wenig beklagen. Darüber, dass Solidarität zwar überall gepriesen wird, aber dann, wenn sie laut und physisch zu Tage tritt, sanktioniert, weggedrängt und am Schluss kriminalisiert wird.
Von jeder Seite, vom Staat, von der Kirche und eigentlich von allen wird ständig und überall Solidarität postuliert. Wir sollen Tatendrang und innovative Ideen für ein soziales Miteinander an den Tag legen, bürgerschaftliches Engagement beweisen, uns für Nachhaltigkeit und eine global gerechte Welt einsetzen und Solidarität zeigen mit all den Betroffenen und Ausgebeuteten dieser Erde.
Doch leider fordern die gesellschaftlichen Autoritäten nicht nur Solidarität von uns, sondern schreiben uns auch noch vor, wie diese auszusehen hat: Sie soll sauber, sicher und sachlich sein. Und vor allem sollte sie sich in das bestehende System integrieren: Unpolitisch aber perfekt organisiert. Am besten sollte sie in glänzenden, professionellen Schwarz-Weiß-Fotos daherkommen, auf denen das Elend der Welt abgebildet ist. Oder auf Werbeplakaten und gut vermarkteten Spendenaktionen. Hin und wieder darf es auch leidenschaftlicher sein, aber nur ein kleines bisschen leidenschaftlicher, unsere Solidarität. Wenn es Naturkatastrophen gibt, zum Beispiel, wenn wir die Gesichter von verletzten und hungernden Kindern zu sehen bekommen. Dann dürfen wir mehr Anteilnahme und sogar körperlichen Einsatz zeigen und unsere Hilfskräfte ins ferne Ausland schicken.
Ganz sicher aber darf Solidarität nicht in echtem und hitzigem Zusammenhalt sichtbar werden. Wehe wir stehen wirklich füreinander ein und gehen auf die Straßen, steigen auf die Barrikaden, tun unsere Verbundenheit mit den anderen laut und deutlich kund. Dann nämlich werden die ersten Funken auch gleich wieder erstickt, eingekesselt, links und rechts, kontrolliert und bewacht: Zur Wahrung des Landesfriedens, heißt es dann immer so schön.
Der Weg von der Solidarität in die Kriminalität liegt da gar nicht so weit. Das letzte Mal, als ich solidarisch sein wollte, bin ich in einer Sammelzelle der Polizei gelandet. Zusammen mit anderen Aktivisten hatten wir uns auf die Autobahn begeben, um auf die katastrophale Bildungspolitik aufmerksam zu machen. Am Ende des Tages dachte ich, dass ich in Zukunft Solidarität lieber überweisen sollte.
Wem an der Solidarität etwas liegt, sollte also nur ein paar Zahlen auf dem Bildschirm verschieben, vom eigenen Konto auf ein anderes. Es müssen nicht einmal große Zahlen sein. Oft reichen wenige europäische Geldnoten, ein Klick und fertig, schon geht es der Welt ein ganzes Stück besser. Und wenn nicht der Welt, dann zumindest unserer Vorstellung von ihr und unserem Gewissen.
Erschienen in der Radio-Essayreihe beim Zündfunk/Br-online. Dort kann man sich auch eine Audio-Version des Textes runterladen.
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