Dik Altemirov, NGO Tschetschenien |
Menschenrechtsaktivistin, Tschetschenien |
André Glucksmann, Philosoph, Frankreich |
Die Ilia State University in Tiflis und die James Town Foundation in Washington setzen ihre Konferenzreihe zum Nordkaukasus und zur »Tscherkessischen Frage« fort. Ein Kurzbericht von Tunay Önder | November 2010
Vom 19.-21. November 2010 fand in der georgischen Hauptstadt Tiflis die Konferenz »Hidden Nations, Enduring Crimes: The North Caucasus between Past and Future« statt, die von der James Town Foundation in Washington und der Ilia State University in Tiflis organisiert wurde. Auf der zweitägigen Konferenz nahmen rund 120 NordkaukasusexpertInnen, AktivistInnen und Delegierte aus 17 verschiedenen Staaten teil, darunter etwa 40 ReferentInnen. Eine internationale Konferenz dieser Größenordnung wurde als Novität für die kaukasische Region gewertet. Die Konferenz, die nun die zweite in Folge war, soll im kommenden Jahr fortgesetzt und weiter ausgebaut werden.
„Ziel der Konferenz war es, die internationale Politik auf die fortwährende Instabilität und Gewalt in der Region aufmerksam zu machen“, so der Präsident der James Town Foundation Glen E. Howard. Es müsse im Interesse aller westlichen Nationen sein, die geopolitisch hochgradig bedeutsame Kaukasusregion entwicklungs- und friedenspolitisch zu unterstützen.
Die Vorträge befassten sich sowohl mit der Kaukasuspolitik Russlands, als auch mit den Beziehungen zum Kaukasus aus georgischer, europäischer und amerikanischer Perspektive. WissenschaftlerInnen und ReporterInnen berichteten von den neueren Entwicklungen im Nordkaukasus, in Dagestan, Inguschetien, Adygea, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. Zentrale Aufmersamkeit erhielten das Thema der Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und „die Tscherkessische Frage“ um die Anerkennung des Genozids.
Unter den KonferenzteilnehmerInnen waren neben Parlamentariern aus dem europäischen, dem georgischen und dem britischen Parlament, Professoren der Washington University, der Kadir Has Universitesi Istanbul, der Rutgers University Newark, der City University New-York, der Ilias State Universität Tiflis, der Universität Oslo sowie der Tel Aviv Universität in Israel. Angereist waren auch JournalistInnen und AktivistInnen aus dem Nordkaukasus, Europa, dem Nahen Osten, den USA und Russland. Unter ihnen junge, aktive Diaspora-TscherkessInnen insbesondere aus Israel, Deutschland und den USA.
Das Eröffnungsblock befasste sich mit der Idee eines vereinten Kaukasus und der georgischen Nordkaukasuspolitik. In diesem Kontext stand die Aufhebung der Visapflicht für Abchasen, die von Georgien erst kürzlich vorgenommen wurde und vehemente Vorwürfe auf russischer Seite auslöste. Die russische Regierung interpretierte die Kooperation der Georgiens mit den Abchasien als eine gegen Russland gerichtete Politik. David Darchiashvili, Mitglied des georgischen Parlaments, entgegnete den Vorwürfen damit, dass Demokratie und Menschenrechte in der Region nur dann durchgesetzt werden könnten, wenn die Kaukasischen Nationen gemeinsam an der Umsetzung ihrer Interessen arbeiteten. Auch Ghia Nodia, Direktor der International Caucasus Studies an der Ilia State University Tiflis, wertete die Visafreiheit als ein wichtigen Schritt, der zum Frieden in der Region beitrage.
Im anschließenden Teil der Konferenz stand die prekäre Menschenrechtslage in Tschetschenien und in anderen Teilen des Nordkaukasus im Mittelpunkt. Der Abgeordnete des britischen Oberhauses, Lord Frank Judd, trug das Ergebniss der „Parliamentary Human Rights Group Report Chechnya-Fact-Finding Mission“ vor, in der die gravierenden Missstände in Tschetschenien dargelegt wurden: Extralegale Straflager; Menschen, die verschwinden; Zeugen, auf die Druck ausgeübt wird; niedergebrannte Häuser und keine einzige Familie, die kein Opfer des Krieges zu beklagen hätte. Angesichts der anhaltenden blutigen Auseinandersetzungen sei kein Ende des Krieges zu erkennen, sagte Aude Merlin, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Brüssel tätig ist und zum Tschetschenienkrieg forscht. Die offizielle Verkündung Russlands vom „Ende des Tschetschenienkrieges“ sei aus ihrer Sicht nicht ohne weiteres ernst zunehmen. Auch Dik Altemirov, Vorsitzender der NGO's in Tschetschenien sprach von einer nach wie vor bestehenden Kriegssituation in seinem Land. Der vorherrschende Mediendiskurs über den „islamistischen Terrorismus“ führe zu einer Diffamierung des Tschetschenischen Volkes und verschleiere die Tatsache, dass in Tschetschenien immer noch Krieg herrsche.
Der letzte Themenblock der Konferenz richtete sich auf die „Die Tscherkessischen Frage“, bei der es um die Anerkennung des Genozids an der einstmals größten Volksgruppe des Nordkaukasus geht. Der Jurist Ali Berzeg vom Circassian International Council stellte im Rahmen einer Forschungsrecherche bislang verborgene Originaldokumente aus den georgischen Archiven aus, die den Genozid an den TscherkessInnen durch die russische Kolonialpolitik protokollieren. In der aktuellen Ausgabe der isthmus-Zeitung aus New Jersey wurde erstmals eine Auswahl der Dokumente in englischer Sprache veröffentlicht. Marie Bennigsen Broxup, eine der führende KaukasusexpertInnen in Europa und Professor Stephen Bronner vom „Center for the Study of Genocide Conflict Resolution“ an der Rutgers Universität Newark riefen dazu auf, mehr Bewusstsein für den Genozid an den TscherkessInnen zu schaffen.
In diesem Kontext hat sich unter der Initiative von Iyad Youghar und Tamara Barsik vom Circassian International Council ein weltweiter Widerstand gegen die Winterolypmiade in Sochi 2014 etabliert (nosochi2014.com), der in Kooperation mit Natur- und TierschutzaktivistInnen gegen das Projekt agiert. Aus Sicht der Tscherkessischen Bewegung liegt das olympische Gelände auf einen historischen Terrain von Genozid. Der ossetische Kaukasusexperte Valery Dzutsev, Analyst und Journalist der Euroasia Daily Monitor und der James Town Foundation, erklärte in seinem Vortrag, dass die Vorbehalte gegen Sochi als Standort für Winterolympiade 2014 nicht nur aus moralischer Sicht gerechtfertigt seien. Auch aus ökologischer und ökonomischer Perspektive sei das Projekt als reine Fehlinvestition zu bewerten, die auf gravierenden Fehlkalkulierungen basiere.
In der abschließenden Rede des Präsidenten der James Town Foundation verwies Glen E. Howard darauf, dass die Konferenz im nächsten Jahr in einem größeren Rahmen fortgesetzt werden solle. Dabei gehe es nicht nur darum, Lösungen zu finden, sondern ein umfassenderes Verständnis der Konflikte zu erhalten. Außerdem sei die Veranstaltung eine einzigartige Gelegenheit internationale Partnerschaften mit Gruppen aus dem Kaukasus zu schließen und die kaukasische Diaspora-Gemeinschaft miteinander zu vernetzen.
Ein Filmmitschnitt von der Konferenz folgt in Kürze.
Ein Filmmitschnitt von der Konferenz folgt in Kürze.
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