Albtraumtropa
Text: Hakan Karakaya
Foto: DigiPott
Erinnern Sie sich an Ihre
Schulzeit und an die Schule, in die Sie nicht gehen wollten. Erinnern
Sie sich an den grauenhaften Geschichtsunterricht, der einfach nicht
vergehen wollte. Willkommen zur Premierenvorstellung von „Atlantropa“
– 100 Minuten, in der man sich genau so fühlte.
Die SchauBurg, die als
Schauplatz dieses Bühnendebakels fungierte, hat unter Regie von
Sebastian Linz am 14.02.2013 zu einer Vorstellung eingeladen, die an
Mittelmäßigkeit kaum zu übertreffen war.
„Atlantropa“ nennt
sich das surreale Vorhaben des Münchner Architekten Herman Sörgel,
dessen Idee es 1927 war, eine Lösung für die Krisensituation
Europas zu finden. Sein Gedanke war es, einen Staudamm bei Gibraltar
zu errichten und somit das Mittelmeer vom Atlantik abzuschotten und
den mediterranen Meeresspiegel erheblich zu senken. Durch Wasserkraft
sollte Energie erzeugt werden, welches durch ein großes Netz für
politischen und wirtschaftlichen Frieden sorgen sollte. Das durch die
Absenkung des Meeresspiegels neu gewonnene und fruchtbare Land,
sollte als Kornkammer dienen und europäischen Völkern eine Heimat
bieten. In einer Weiterentwicklung sah das Projekt eine Erschaffung
von großen Binnenmeeren vor, um aus Europa und Afrika einen
unabhängigen Kontinent zu entwickeln.
So viel zur Theorie – in der
Praxis bietet sich den ZuschauerInnen an diesem Premierenabend zu
Beginn ein bibliothekähnlicher Raum mit Kunstpflanzen, der im Laufe
des Stücks eine zentrale Rolle spielt.
Die vier
HauptdarstellerInnen sitzen an den Tischen verstreut im Raum und
tragen scheinbar Informationen zu einem Thema zusammen. Und dann
geht’s auch schon los. Das Ensemble „ausbau.sechs“ tritt nach
vorne und setzt sich in einer Reihe hin. Das Publikum wird durch die
vorgelesenen, langatmigen und uninteressanten Zahlen, Daten und
Fakten zum Projekt „Atlantropa“ nahezu eingeschläfert. Fast
dankbar dafür, dass die langweiligen Informationen zu Ende
vorgetragen sind, kommt ein bisschen Action in die Bude, was jedoch
wie ein hilfloser Aktionismus wirkt, um mit diesem trockenem Thema
nicht in der Wüste zu landen.
Die SchauspielerInnen springen wild
umher und geben sich einer jeweils neurotisch wirkenden Beschäftigung
hin, wodurch der Regisseur Sebastian Linz wohl versucht, die
Unsinnigkeit des Projekts „Atlantropa“ zu verdeutlichen. Es
werden mit vollem Körpereinsatz und auf höchst umständliche Weise
Tische jongliert und verrückt, unter denen die Schauspielerin Linda
Löbel nahezu erdrückt wird. Jede freie Fläche des schwarzen Raumes
wird durch die am Boden kriechende, schreibwütige Michelle Bray mit
einem weißen Stift beschrieben. Hysterisch wird durch Christoph
Theußl der Sand aus den Töpfen der Kunstpflanzen auf einem Tisch
ausgeleert und ein absurdes Sandkastenspiel beginnt, während der
vierte im Bunde, Martin Schülke Bücher über Atlantropa zur Schau
stellt und grinsend Zettel an einen Tischrand klebt. Begleitet wird
dieser unruhige Wettkampf um die Aufmerksamkeit des Publikums durch
die vorgelesenen Korrespondenzen zwischen den Staaten, die am Projekt
„Atlantropa“ beteiligt sind. Die Szenen wechseln sich zwischen
skurrilem Bühnenchaos und vorgelesenem Schriftverkehr knapp 100
Minuten lang ab.
Der Lichtblick dieses Abends ist ein sympathischer
alter Mann, gespielt von Helmut Stange, der als
Bibliotheksangestellter immer wieder über die Bühne huscht und
dabei das Gefühl vermittelt, eigentlich in einem anderen
Theaterstück auftreten zu wollen – was sich schlussendlich auch
bestätigt, als sich der selbige gegen Ende als Goethe präsentiert.
Ein tatsächlich abgetrennter und herrausragender Augenblick an gutem
Schauspiel.
Die weiteren Spieltermine
dieses Doku-Horrors können leidensfähige ZuschauerInnen dem Spielplan der SchauBurg München entnehmen.
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