Dem Glockenbachwerkstatt sein Bolzplatz sein Redner

Wer die Demo zur Rettung des Boltzplatzes der Glockenbachwerkstatt am 15.10.12 und somit die Rede von Vorstandsmitglied Tuncay Acar aka Triptonious Coltrane aka Dj Fly verpasst hat, kann sie sich hier nachträglich reinziehen. Yes, der Mann hat getextet und getippt, um einen der wenigen urbanen Räume mit dem Mund übers Megafon freizublasen! Ellerine ve ağzına sağlık diyoruz, und here we go:

Liebe Münchnerinnen, liebe Münchner, liebe Eltern, liebe Kinder und vor allem: liebe UnterstützerInnen und Unterstützer, die ihr in den letzten Tagen unser Anliegen weitergetragen und uns nicht alleine gelassen habt.

Im Namen der Glockenbachwerkstatt wollen wir uns hier bei euch herzlich bedanken für die Energie, die ihr uns gebt zu dieser wichtigen Zeit. Wir wollen uns aber auch bedanken beim Planungsreferat, bei den Bezirksausschüssen 1 und 2 und bei allen Städtischen Instanzen und Gremien, die auf unsere Reaktionen früh genug eingelenkt haben und sich konstruktiv in den Diskurs um den besagten Bolzplatz eingebracht haben. (Bolzplatz ist eine liebevolle Bezeichnung die ihm von früher geblieben ist, ich sehe in ihm viele Funktionen, die ich im Verlauf meiner Rede erläutern will)

Das „Wir“ steht hier nicht nur für das Bürgerhaus Glockenbachwerkstatt und seine (wie man an den zahlreichen Resonanzen der letzten Tage sehen konnte) nicht gerade geringen Klientel.

Das Wir steht in diesem Falle auch für den Glockenbachwerkstatt e.V., dessen Vorstand ich hier offiziell vertrete.


Ich denke es ist an dieser Stelle wichtig, zu betonen, dass es uns in dieser Angelegenheit nicht um Krawallmacherei geht, es geht uns nicht darum, der Stadt Schwierigkeiten zu bereiten und auch nicht darum, in irgendeiner Form politische Meinungen und Ressentiments zu schüren. Am wenigsten geht es uns darum, den sozialen Wohnungsbau im Stadtzentrum zu torpedieren.

Ganz im Gegenteil: wir waren und sind schon seit Jahrzehnten ein verlässlicher Partner für die Stadtverwaltung in Belangen der Kinder- und Jugendarbeit, der soziokulturellen und kulturellen Aktivitäten im Stadtteil.

Wir sind Träger des ältesten Bürgerhauses Münchens im Herzen der Stadt und von 8 weiteren Kindergärten und Kooperationseinrichtungen stadtweit, deren Betriebsträgerschaft wir im Dienste der Stadt innehaben. Desweiteren verwalten wir 2 Hausaufgabenbetreuungen in städtischen Schulen.

Insgesamt bietet der Glockenbachwerkstatt e.V. über 100 ErzieherInnen, SozialpädagogInnen, Verwaltungs- und Teilzeitkräften Arbeit.

Wir tragen also viel Verantwortung und unsere Arbeit basiert auf viel Vertrauen, vor allem im kommunalen Kontext.

Man kann sich also vorstellen, dass wir diesen Schritt, nämlich den Schritt hinaus in die Öffentlichkeit - um unseren Bolzplatz zu erhalten - nicht aus reiner Protestlust heraus tun, sondern ihn uns wohlüberlegt haben. Das ist keine spontane Krakelerei und auch kein wehleidiges Gejammer. Das ist ein ganz bewußter Schritt, der nicht nur für „unser“ Anliegen hohe Bedeutung trägt, sondern eine wichtige Rolle spielt für die weitere Entwicklung der Stadt in Bezug auf soziokulturelle Freiräume.

Ein solcher ist nämlich auch unser Bolzplatz, für dessen Erhalt wir hier alle versammelt sind. Auch wenn es einigen sturen Bürokraten schwer fällt, sich das vorzustellen, oder zu begreifen: Dieser Platz wird generationenübergreifend genutzt. Die wichtigste Rolle spielt er zwar für die Krippen-, Kindergarten- und Hortkinder, die dankbar sind für die Freifläche zum Spielen und Toben. Aber auch zum Kicken, zum Basketballspielen und auch für übergreifende Veranstaltungen, wie Hausfeste, kulturelle Darbietungen, Flohmärkte wird dieser Platz seit Jahrzehnten genutzt.


Dieser Platz steht in einer Stadt wie München, in der die Zugänglichkeit von Raum sich so sehr unter dem Diktat des Immobilienmarktes befindet, für eine Chance. Nämlich die Chance, urbane Freiräume mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, oder gar aus mehreren:

Nicht nur als Konkurrenz zu dringend notwendigem Wohnraum, sondern als existenziell bedeutsames komplimentäres, soziokulturelles Element in der postmodernen Stadtentwicklung.

Lasst es mich in einfachen Worten erklären: Der Mensch wohnt und arbeitet nicht nur, sondern er lebt auch. Platz zum Wohnen und Arbeiten ist existentiell. Aber wir leben nicht nur, um unsere existentiellen Bedürfnisse zu erfüllen. Und in einer Stadt wie München sollten sich die Menschen nicht nur privaten Wohnraum, sondern auch öffentlichen Lebensraum leisten können.

Und an dieser Stelle will ich nur darauf hinweisen, wie viele Luxusbauprojekte just in diesem Moment auf ehemals städtischem Grund entstehen. Ich weiß ja nicht, ob diese unbedingt den hiesigen Wohnungssuchenden zu Gute kommen werden? Vermarktet werden diese Wohnungen jedenfalls auf dem globalen Markt. Diese Stadt ist in der Lage, den Topverdienern aus aller Welt so viel luxuriösen Raum zur Verfügung zu stellen, aber für sozialen Wohnungsbau muss dann ein soziokultureller Raum weichen? Warum?

Der Begriff der Kreativität wird in letzter Zeit von städtischen Instanzen wie dem Planungsreferat und dem Kulturreferat im Zusammenhang mit großformatigen städtebaulichen Veränderungen bemüht. Das sind allesamt schöne Projekte und genießen unsere Unterstützung. Doch jetzt müssen wir zeigen, dass wir auch in der Lage sind, die Kreativität gekonnt und Flexibel einzusetzen, um soziokulturellen Raum zu erhalten und zu fördern. Dazu muss man zunächst in der Lage sein, Freiräume als solche aufzufassen, zu begreifen und nicht nur als Brachen zu verstehen.

Insbesondere fordere ich die Vertreter und Vertreterinnen des Kommunalreferates auf, sich auf diesen Prozess einzulassen. Kommen Sie zu uns und wir geben ihnen einen kleinen Crashkurs im Verständnis von urbanen Freiräumen und ihrem Nutzen für die Stadtgesellschaft. Was Sie aber vielleicht noch mehr interessieren dürfte, ist der Nutzen bezüglich der wertsteigernden Funktion solcher Orte für moderne Stadtviertel. Denn solche Orte heben die Lebensqualität. Und das hebt wiederum langfristig den Wert des Viertels.

München ist im Immobiliensegment ein Star unter den lebenswerten europäischen Städten. Aber jeder Star weiß nur zu genau: Richtig gut aussehen tut man erst dann, wenn man nicht nur perfekt angezogen und gestylt ist, sondern hier und da auch mal den Mut hat, selbstbewusstes, schlichtes Charisma wirken zu lassen. Lassen sie uns in München diesen Flair erhalten.


Kreativer Raum ist schön, wenn er mal fertig und nutzbar hergerichtet ist, aber um da hin zu kommen, muss man seine Wurzeln wachsen lassen und ihn pflegen. Das funktioniert  nicht anders, als in der Natur.

Und unser Bolzplatz ist eines der letzten erhaltenen selbstgewachsenen Wurzeln soziokulturellen, kreativen Raumes in der Münchner Innenstadt.

Raum zum Leben bedeutet:
Freiraum für unsere Kinder
Freiraum für Kunst und Kultur
Freiraum für die Bürger und Bürgerinnen
Freiraum für das schlichte sein an sich.

Liebe Freudinnen und Freunde,

Was wir hier fordern, ist nicht nur die Rettung unseres Bolzplatzes, wir fordern auch ein Stück Anerkennung, Verantwortung und Sensibilität, vor allem von denjenigen, die die städtischen Liegenschaften verwalten.

Wir wollen nicht von Gutsherren vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir wollen gefragt werden, und zwar höflich! Wir wollen mit unseren Kompetenzen, Erfahrungen und mit unserer wertvollen Arbeit geschätzt und ernst genommen werden.

Das Planungsreferat und das Kulturreferat der Stadt tragen momentan einen sehr schönen Slogan in die Öffentlichkeit. Er lautet: „Kreativen Raum schaffen!“. Das ist ein zeitgemäßer Anspruch in einer Zeit, in der vor allem in dieser Stadt, der Quadratmeter Baugrund fast mit Gold aufgewogen wird.

Wir hoffen, dass auch das Kommunalreferat in der Lage sein wird, diesem Wahlspruch, der vom Stadtrat und den höchsten Instanzen der Stadtverwaltung stark unterstützt wird, Rechnung zu tragen.

Zum Abschluss habe ich noch etwas für alle Kinder und diejenigen, die sich immer ein Stück Kindheit erhalten haben:

Ich war letzte Nacht bei einer Wahrsagerin und habe sie in dieser Angelegenheit befragt. Die hat sich mein Anliegen geduldig und nachdenklich angehört und hat dann mit weit geöffneten Augen in ihre Christallkugel geschaut und viele für mich unverständliche Beschwörungsformeln ausgesprochen. Dann sah sie mich plötzlich mit einem festen, entschlossenen Blick an und sagte: „Tuncay, ich sehe einen klaren, sonnigen Himmel und keine Wolke weit und breit. Deine Bedenken werden sich in Luft auflösen, denn du bist ein großer Optimist. Du lebst in einer wohlhabenden Stadt zwar zusammen mit vielen großkopferten Sturköpfen, aber auch mit vielen klugen und herzlichen Menschen. Deswegen werdet ihr nicht verlieren!

Mit dieser Profezeihung will ich nun diese Kundgebung beenden und wünsche uns allen noch viele Jahre voll Freude und Spaß auf unserem Bolzplatz!

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