Von Koray Yılmaz-Günay (Berlin)*
ein buch, mit, oder auch ohne knoblauch! |
Es ist das größte Verdienst des
»Migrantenstadl«, beharrlich sowohl auf das gesellschaftliche Geworden-Sein als
auch auf die aktuelle Relevanz von »Ein-« und von »Mehrheimischkeit«
hinzuweisen, und zwar nicht nur in Bezug auf tatsächliche oder unterstellte
»Herkunft«, sondern auch auf deren vielfältige Verstrickungen mit gesellschaftlichen
Männlichkeiten und Weiblichkeiten. Und damit auch auf die je unterschiedlichen Chancen,
»etwas« zu werden: »Wer nicht zufällig eine türkische Mutter oder osteuropäische
Verwandtschaft hat, dem erscheint das Putzen wohl als eine Art Zauberei: Warum
sonst sprechen diese seltsamen Leute in den Suchanzeigen von ihrer ›Putzfee‹?! Auch
wenn der Putzwedel ihrer Putzfrau manchmal so aussieht wie ein Zauberstab, sei darauf
hingewiesen, dass die […] ›Putzperlen‹ […] den Dreck […] mittels körperlicher Arbeit
entfernen« (89). Intersektionalität nicht als importiertes theoretisches Paradigma,
sondern als deutscher Sachstand seit Jahrzehnten.
Die Schnittpunkte von race
relations, Geschlechter- und Klassenverhältnissen
ziehen sich – ganz so, wie sie den gesellschaftlichen und politischen Alltag im
Land durchdringen – durch die ersten fünf Jahre des Blogs der Soziologin Tunay
Önder und des Soziologen Imad Mustafa, der 2013 für den Grimme Online Award
nominiert war und hier zum Buch kompiliert wurde. Eine ebenso plastische wie
bestürzende Erkenntnis betrifft die – nicht nur in Zeiten der
»Flüchtlingskrise« – von offizieller Seite geforderte Solidarisierung und
Hilfeleistung, die sich eben nicht als grundsätzlich andere gesellschaftlich-politische
Praxis, sondern als geordnete Privatisierung
ehemals staatlicher Aufgaben äußern soll: »Die gesellschaftlichen Autoritäten
[fordern] nicht nur Solidarität von uns, sondern schreiben uns auch noch vor,
wie diese auszusehen hat: Sie soll sauber, sicher und sachlich sein. […] Unpolitisch,
aber perfekt organisiert. […] Ganz sicher aber darf Solidarität nicht in echtem
und hitzigem Zusammenhalt sichtbar werden. Wehe, wir stehen wirklich füreinander
ein und gehen auf die Straßen.« (20f) Die Teile-und-Herrsche-Strategie wirkt
als Ausschluss. Sie lähmt zugleich aber auch die Entwicklung emanzipatorischer
Bewegungen, die von der Bevölkerung selbst ausgehen: »Die [wirklich
gefickten dieser gesellschaft] gehen nicht vor der ezb campen. warum auch? ham
sie doch keine zeit für so’n irlefanz.« (47)
Die Sorgen derjenigen, die bei Occupy
tatsächlich unterrepräsentiert sind, kreisen, wie die Serie der immer neuen
Aufdeckungen im NSU-Komplex eindrücklich belegt, um existenziellere Fragen. Die
Information, dass zur Tatzeit eines der Morde ein V-Mann des hessischen
Verfassungsschutzes am Tatort anwesend war und vermeintlich auf einer Dating-Seite
surfte, mobilisiert außerhalb der »betroffenen« Gruppen keine Massen. Die Kenntnis
über die tiefen Verstrickungen von staatlichen Stellen mit Neonazi-Netzwerken lähmt
die »Einheimischen« geradezu. So waren auf den Demonstrationen in Kassel und Dortmund,
die 2006 unmittelbar nach dem neunten Mord unter dem Motto »Kein 10. Opfer«
stattfanden, die Angehörigen der Opfer und ihre »Communities« weitgehend unter
sich. Jahre vor dem Aufliegen des vermeintlichen »Terror-Trios«, als der Staat noch
mit exotisch benannten Ermittlungskommissionen (»Halbmond«, »Bosporus«) auf der
Suche nach organisierter Kriminalität im ethnisch konstruierten »Milieu« war und
antifaschistische Gruppen sich nicht scherten, war der rassistische Hintergrund
der Mordserie den »Mehrheimischen« bereits evident.
Der Zynismus hinter diesen Ereignissen äußert
sich im »Migrantenstadl« im derb bildhaft überzeichneten Kommentar: »Die
Ermittlungen haben ergeben, dass der Verfassungsschutzbeamte sich im
Internetcafé [dem Tatort in Kassel] vermutlich nur einen runtergeholt hat.«
(71) Die ›wirklichen‹ interkulturellen Konflikte, die eine gesellschaftliche und
mediale Öffentlichkeit ›verdienen‹, scheinen sich demgegenüber in der Fast-Food-Branche
abzuspielen. Ein Zeitungsausriss bringt die Absurdität dessen, was zur Nachricht
gereicht, zur vollen Geltung: »Fladenbrot geworfen. Erfurt – Nach einem Streit
mit einer Kundin hat ein 40-jähriger Döner-Verkäufer die Frau mit Döner-Broten beworfen
und sie dabei verletzt. Sie musste ärztlich behandelt werden (dpa).« (84)
Die namentlich nicht gekennzeichneten
Alltagsbeobachtungen von Önder und Mustafa spüren, wie die eingestreuten
Gastbeiträge, im kleinen Alltags-Wahn den großen Sinn auf: dass alles so bleibe
wie es ist. In Form, Länge und Duktus stark verschieden, sind nachdenklich
stimmende Texte darunter, auch regelrechte Schläge in die Magengrube; Wortspiele
und kurzweilige Text-Bild-Kombinationen, darunter so bestechende wie ein in den
Text tränendes »ain’tegration« (17); Interviews, Buch- und Musikkritiken. Die
meisten Beiträge stellen den ominösen »Migrationshintergrund« in den Vordergrund
des Textgeschehens. Es gibt Reflexionen über den Genozid am tscherkessischen
Volk und über die Olympischen Winterspiele, die Russland auf demselben Boden
ausgerichtet hat, über Gastarbeit und Sprache, die Frage, was das »Politische«
am »politischen Islam« sei, und die Antwort darauf – nichts: »Bewegungen wie
al-Qaida oder ISIS, bei denen die Gewaltanwendung das überragende Merkmal ist
und die sich praktisch gar nicht auf einen politischen Aushandlungsprozess
einlassen, würde ich aber als regelrecht antipolitisch einstufen.« (Mustafa,
160)
Auch wenn die meisten Themen um das Ausland
kreisen, ist »Migrantenstadl« vor allem eine Standortbestimmung im Deutschenstadl
und zum Inland. Dessen liebgewonnene
Gewissheiten werden hier – mal subtiler, mal drastischer, immer aber aus Notwendigkeit
– ins Wanken gebracht, weil sie in eine Zeit gehören, die zwar vergangen,
längst aber nicht begraben ist. Es gelingt den Institutionen – noch –, den gesellschaftlichen
Wandel außen vor zu halten, weil Medien, Schulen, Ämter und Behörden, aber auch
der Wohnungs- und der Arbeitsmarkt den Deutschen, die mit »Wörterayntoff«
(102f, 214f) aufgewachsen sind, den gleichberechtigten Zugang verwehren. Mit
Rancière analysieren Önder/Mustafa den état (Staat
und Zustand) der Stockung, die es für ein »richtiges Leben trotz falscher Politik«
(184) zu verflüssigen gilt, und plädieren für ein anderes Verständnis von Politik,
eines, das »vom Rand her« (33) gedacht wird: Es entstehe dort, »wo sich
Sklav_innen, Proletarier_innen, ›Papierlose‹, Asylbewerber_innen zu Wort melden
und ihre Ansprüche und Forderungen einklagen. Dieser Ort des Politischen, des genuin
demokratischen Streits um die Gestaltung des öffentlichen Lebens, weicht in den
gegenwärtigen Demokratien der Logik des Konsenses. Demokratien sind aufgrund
ihres konsensuellen Prinzips zu Orten der Entpolitisierung geworden. Es ist
treffender, die sogenannten liberalen Demokratien, in denen wir leben,
›Post-Demokratien‹ zu nennen. […] Post-Demokratie impliziert ebenso wenig, dass
alle Hoffnungen aufgegeben wären. Sie ist primär als entpolitisierte Form der Politik
zu verstehen, in der es nur um die Kanalisierung und also staatliche Disziplinierung
politischer Energien geht. Post-Demokratie ist also Post-Politik.« (Ebd.)
Dass sich Mustafa/Önder konsequent einer
essenzialisierenden Identitätspolitik genauso verweigern wie dem allzu jovialen
»Wir sind alle links und also antirassistisch«, ist deshalb so erfreulich, weil
sie vorschnell hergestellte Interessenidentitäten nicht zulassen. Eine
intersektionale Praxis, die
Kapitalismus-, Sexismus- und Rassismuskritik nicht hierarchisch, sondern zusammendenkt,
braucht genau solche Impulse, wenn sie die Lähmungen unseres
»postdemokratischen« Zeitalters überwinden will.
Önder, Tunay, u. Imad Mustafa, Migrantenstadl. Insurrection notes 7, Unrast, Münster
2016, (256 S., br., 18,00 €)* --> Signiert zu bestellen unter dasmigrantenstadl@gmail.com
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* Dieser Text erschien zuerst in Das Argument 319, Dezember 2016.
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