Titelblatt der Berliner Zeitung vom 8.Januar 2015 |
Die Berliner Zeitung hat am 8. Januar auf ihrem Titelblatt aus Versehen
eine antisemitische Karikatur veröffentlicht. Das tut den Blattmachern sehr
leid - denn eigentlich wollten sie bloß islamophobe Karikaturen
veröffentlichen. Dieser Irrtum lässt tief blicken in die ideologischen
Mechanismen einer Gesellschaft, in der Antisemitismus selbstverständlich
geächtet, antimuslimischer Rassismus aber unter dem Deckmantel der
Meinungsfreiheit noch immer zum guten Ton gehört.
Während im einen Fall - wie im rot gekennzeichneten Bild oben - nicht nur aufgrund
der deutschen Geschichte klar ist, warum die Zeichnung geächtet werden muss,
stellt sich umso mehr die Frage, warum das im Fall der anderen nicht so ist.
Ist der eine Rassismus etwa schlimmer als der andere? Konkret gefragt: Ist der
antisemitische Rassismus etwa schlimmer als der antimuslimische Rassismus?
Die berechtigte Aufregung um die Veröffentlichung einer antisemitischen
Karikatur in einer deutschen Zeitung deckt die offensichtliche Ungleichheit im
Denken, in der Wahrnehmung und als Folge im Handeln auf, wenn es um Muslime
geht. Rassismus gegen Menschen muslimischen Glaubens wird bis heute oftmals
nicht mal als solcher anerkannt, auch wenn er einem geradezu ins Gesicht
springt. Schlimmer noch: Nach Jahrhunderten der kolonialen Ausbeutung und
Unterdrückung sowie anhaltender hegemonialer Einflussnahme im Nahen Osten und
Nordafrika, verweigern die weiß-europäischen Herren der öffentlichen Meinung
den betroffenen Muslimen in einem Habitus höchster kultureller Überlegenheit
die Deutung der Karikaturen als rassistisch, nach dem Motto: Jetzt habt Euch
doch nicht so! – und das mit Hinweis auf die Pressefreiheit. Das schlägt jedem
Fass den Boden aus.
Es mag jeweils der "radikale Islamist" gemeint sein, der da
in den Karikaturen aufs Korn genommen wird - doch zum Tragen kommt für die
Betroffenen ein Angriff auf ihren Glauben, wenn der Religionsstifter Mohammed
lächerlich gemacht wird. Doch auch aus einem anderen, gesellschaftskritischen
Grund, sind die Karikaturen abzulehnen: Wenn die Ursachen für
Gewalt(bereitschaft), Militanz und Radikalität von bestimmten Moslems
ausschließlich in immanenten Gründen verortet werden ("DER Islam
ist..."), dann geht man den "Kulturkriegern" auf den Leim, die
im Islam ein einheitliches, unveränderliches Gebilde sehen, das nichts als
Gewalt kennt, wenn es dem kulturell und religiös Anderen gegenübersteht. Diese
Sichtweise ist nicht nur höchst unpolitisch und in letzter Konsequenz
rassistisch, sondern entlastet die westlichen Staaten und Gesellschaften von
ihrer historischen und aktuellen Verantwortung für Fehlentwicklungen sowohl im
Nahen Osten und Nordafrika, als auch daheim gegenüber den muslimischen
Einwanderern.
In diesem Sinne ist die Reaktion auf den menschenverachtenden Anschlag
auf die Pariser Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo als weitere
Normalisierung rassistischer und exkludierender Bilder vom Islam und Muslimen
zu verstehen. Selbstverständlich ist es möglich, sich zum einen mit den Opfern
des Anschlags solidarisch zu zeigen, aber andererseits eine Identifikation wie
sie im endemischen Slogan “Ich bin Charlie” oder im Wiederabdruck der
Karikaturen zum Ausdruck kommt, abzulehnen. Denn wie bereits angemerkt
rekurrieren viele Zeichnungen der Zeitschrift immer wieder auf rassistisch
anmutende Klischees vom bärtigen, wilden, dunklen und gewalttätigen Moslem.
Hier soll es nicht um die Ablehnung oder Einschränkung der
Pressefreiheit gehen, sondern um die Einordnung der Ereignisse. Wenn jetzt überall
der ohrenbetäubende Slogan “Ich bin Charlie” erschallt, dann sei die Frage
gestattet, warum gerade hier auch von den Herrschenden in EUropa qua Medien die
Mobilisierung der Massen hinter diesen betrieben wird. Es drängt sich der
Eindruck auf, dass eben nicht nach Kontexten gefragt werden soll, nach
Besatzung, Krieg und Unterdrückung. Nach Rassismus hier mitten unter uns.
Satire darf zwar alles – aber sie hat auch eine aufklärerische Funktion
und gesellschaftspolitische Verantwortung. Wenn sie sich billiger Polemik oder
gar rassistischer Bilder bedient, dann hat sie ihr Ziel eindeutig verfehlt. In
diesem Sinne muss man der Berliner Zeitung für ihren Irrtum und den Umgang
damit geradezu dankbar sein, zeigt er doch auf exemplarische Weise die
doppelten Standards und ideologischen Verzerrungen, die heute unsere
Gesellschaft bezüglich "des Islams" und Muslimen prägen.
Mehr Artikel wie dieser müssen veröffentlicht werden! Wo sind die kritischen und aufgeklärten Philosophen, Politikwisssenschaftler, Soziologen und Schriftsteller? In den 60er und 70er Jahren hätte es mehr Aufschrei udn Protest gegeben. Jetzt reihen sich alle ein in den ant-moslemischen Rassismus und blöken mit der Politelite (Elite?) mit...
AntwortenLöschenEin Artikel der SZ aus dem Mai 2010, der sich auf den dänischen Karikaturenstreit bezieht, ist nach wie vor aktuell:
AntwortenLöschenhttp://www.sueddeutsche.de/politik/meinungsfreiheit-und-religion-die-wertedebatte-laeuft-falsch-1.63679