von Hannes Hofbauer*
Was
schwirren nicht für Ansätze zur Erklärung des schrecklichen Attentats gegen die
Redaktion des französischen Satireblattes „Charlie Hebdo“ durch die Medien! Die
unterstellten Motive reichen von religiösem Fanatismus über verletzte
Gottesfurcht bis zur gerächten Prophetenlästerung. Im Zentrum der
Aufmerksamkeit stehen dabei die Mohammed-Karikaturen, die das Wochenblatt seit
Jahren publiziert und damit seinen anti-religiösen Charakter unterstreicht. Diese
Karikaturen sollen radikale Muslime zur Untat provoziert haben, die mit ihnen
einhergehende Ehrverletzung des Propheten Mohammed sei gerächt worden, wie es
einer der Mörder laut Zeugin in perfektem Französisch gerufen habe. Für eine
oberflächliche Betrachtung mag eine solche Analyse ausreichen, Hintergründe der
Tat werden damit allerdings nicht erhellt.
Ohne den Krieg, den der Westen seit über 20 Jahren in der arabischen Welt führt, ist das Attentat von Paris nicht zu verstehen. Ohne die Tausenden und Abertausenden von Toten, die westliche Militärallianzen unter Muslimen vom Zweistromland bis Mali zu verantworten haben, gäbe es die Toten in der Cafeteria von Sydney und in der Redaktionssitzung bei „Charlie Hebdo“ nicht. Das ist die einfache, bittere und in den Medien der Meinungsmache tunlichst vermiedene Wahrheit.
Frankreich
an vorderster Front
Seit
der „Operation Wüstensturm“, mit der eine von den USA angeführte Koalition aus
über 30 Staaten gegen den Irak des Saddam Hussein im Jahre 1991 den Krieg in
den Nahen Osten gebracht hat, ist Frankreich an vorderster Front mit dabei.
Dabei ging es in den Jahren seither mal gegen laizistische Regime und mal gegen
dschihadistische Gotteskrieger, mit einem Wort: es ging um die (geo)politische
und wirtschaftliche Kontrolle des Raumes. Die Mittel zur Durchsetzung:
Fliegerangriffe mit schweren Bombern, Cruise Missiles, Streubomben,
Uran-Munition, Drohnen, verdeckte Kampfeinsätze und – fallweise – massive
Bodentruppen. Die Folge vor Ort: Vom Irak über Syrien, Jemen und Libyen bis
Mali wurden ganze Generationen mit Krieg überzogen; statt jeweils versprochener
Freiheit kamen Tod und Verderben.
Paris hat sich – mit der Ausnahme
des sogenannten „dritten Golfkrieges“ 2003 – an all den Waffengängen vom Nahen
Osten bis Nordafrika beteiligt. Die „Operation Harmattan“ seit März 2011
destabilisierte Libyen; mit der „Operation Sérval“ im Januar 2013 griff man
dschihadistische Kräfte in Mali an und deckte Massenerschießungen der örtlichen
Armee; seit dem Giftgaseinsatz im syrischen Bürgerkrieg, dessen Urheberschaft
ungeklärt blieb, ist der Elysée-Palast zum treuesten Verbündeten der USA
geworden und kämpft für einen Regimewechsel in Syrien; und seit der Ausrufung
eines „Kalifats“ im Sommer 2014 beteiligt sich Frankreich an der militärischen
Allianz dagegen.
Zur aktuellen außen- bzw.
geopolitischen Lage, die radikale Muslime den von der westlichen Allianz
betriebenen Krieg an der Peripherie ins Zentrum tragen lässt, gesellen sich insbesondere
in Frankreich innenpolitische Gründe, die dschihadistisch indoktrinierte
Muslime zur Waffe greifen lassen. Diese reichen von einer Gesetzgebung wie der
„loi Mékachéra“ aus 2005, die die Beleidigung von Angehörigen französischer
Hilfstruppen während der Kolonialzeit in Algerien unter Strafe stellt, über
Verbotsgesetze betreffend islamischer Kleidervorschriften bis hin zur
anti-muslimischen Stimmung, die von der Hetze der „Front national“ bis zu der
Respektlosigkeit der Propheten-Karikaturen reicht.
Erodierendes
staatliches Gewaltmonopol
Überall
dort, wo westliche Bomber im Einsatz waren und sind, hinterlassen sie nicht nur
Tod und Verderben, Verzweiflung und Hass, sondern auch staatlichen Zerfall.
Dies ist im Irak ebenso der Fall wie in Syrien, Libyen, Jemen oder Mali.
Tatsächlich zielen die manchmal nicht einmal als solche erklärten Kriege der
Westallianz offen auf das jeweilige Gewaltmonopol missliebiger Regime oder
dschihadistischer territorialer Konsolidierungsversuche. Mit den Schüssen im
11. Pariser Bezirk stellt sich die Frage des staatlichen Gewaltmonopols nun
auch im westlichen Zentrum. Die kriegerische Art der Durchführung des
Attentates gegen „Charlie Hebdo“ bringt nicht nur Tod und Verderben in eine der
Hauptstädte der Politik imperialer Interventionen zurück, sondern stellt auch die
Schutzfunktion des französischen Staates generell in Frage oder – wie Präsident
François Hollande es ausdrückte – traf Frankreich ins Herz.
Die fortgesetzte Weigerung
westlicher Medien und Politik, den Anschlag von Paris als Antwort auf die
eigenen Aggressionskriege klar zu benennen, lässt weitere Eskalationen für die
Zukunft befürchten. Der Krieg, so haben es die Attentäter von Paris einmal mehr
deutlich gemacht, hört nicht an der ohnedies undefinierbaren Grenze zum
„Kalifat“ auf; und in der von westlichen Allianzen zerstörten Staatlichkeit in
Irak, Syrien und Libyen spiegelt sich das erodierende Gewaltmonopol im Zentrum.
Manche mögen es als eine Ironie
lesen, dass ausgerechnet radikale Muslime, die der Westen einst für den Angriff
auf laizistische Regime in Nahost und Nordafrika instrumentalisierte, sich nun
als Speerspitze gegen ihn selbst wenden. Doch die Geschichte ist voll solcher –
vermeintlichen – Paradoxe, bei denen Herrschaft die Geister, die sie rief,
nicht mehr los wird.
*Hannes
Hofbauer lebt als Publizist und Verleger in Wien. Zuletzt ist von ihm
erschienen: Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter
Danke! "...bei denen Herrschaft die Geister, die sie rief, nicht mehr los wird." Besser kann man es nicht ausdrücken.
AntwortenLöschenDer gescheiteste Artikel zu diesen Attentaten, der leider in keiner Zeitung auftaucht!
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