Biogemüse, Dönerfleisch und Hackfresse. Skandaltheater um Migration!

Preisfrage: Erzählt dieser Hirsch nun Geschichten aus den Alpen oder aus Anatolien?

Ein Regisseur hat ein Projekt begonnen. Ein  Produktionsleiter hat einen Rundbrief geschrieben. Ein Kulturunternehmer hat eine Pressemitteilung verfasst. Und seit Tagen halten die Aufstände an, die ein Projekt der Münchner Kammerspiele zum Thema Migration auslöste. Wer ist der Migrant, wer ist der Fremde, und was haben die ganzen Dönerfresser damit zu tun? Ich sprach mit der Regisseurin Christine Umpfenbach, eine gebürtige Ausländerin, die sich seit 2006 in ihren Theaterarbeiten mit Migration und Flucht beschäftigt. Ein Einblick.


C: Was geht hier eigentlich vor sich?
T: Soweit ich das überblicken kann, handelt es sich um einen der größten Verkehrsunfälle im Kulturwesen. 

C: Wie hoch ist der Schaden?
T: Ich würde sagen, es ist ein Totalschaden. Es hilft nichts Teile des Betriebs auszuwechseln oder gerade zu biegen oder schön zu reden. Ist das nicht erfreulich!?
 
C: Durchaus. Ich befürchte nur, dass ich nach diesen Geschehnissen das Handtuch werfen und endlich auswandern muss.
T: Quatsch. Es reicht, wenn du eine Namensänderung beantragst. Du heisst in Zukunft einfach Chriştine Umpfen-Nehir. Das verringert zwar die Wahrscheinlichkeit einer Festanstellung im deutschen Theatermarkt, aber wenigstens kommst du in deiner Beschäftigung mit bestimmten Themen authentischer rüber. 
Ich frage mich nur, welche Folgen diese Ereignisse für die ganzen anderen haben werden.

C: Welche anderen? 

T: Na die Aliens [Intertextualität! Anmerkung der Redaktion]
C: Du meinst die deutschen Bürger?

T: Naja, zumindest diejenigen, die Döner essen.
C: Das sind ja meistens häßliche Weißbrotgesichter. Die sind völlig harmlos. Wichtig ist, jetzt auf die Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen aufmerksam zu machen. Gruppen, die aus bestimmten Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen werden. 

T: Spielst du auf die wenigen türkischen Kinder am Gymnasium an? 
C: Nehmen wir doch lieber als Beispiel die Münchner Kammerspiele, die sich als Stadttheater bezeichnen. In ihr spiegelt sich die Vielfalt der Stadtgesellschaft in keiner Weise wider. 

T: Findest du? Die Leute dort wirken immer so facettenreich und schillernd, geradezu vielfältig. 
C: Naja, wenn man bedenkt, dass die größte migrantische Gruppe in München türkisch-stämmige Migranten sind...

T: Das ist aber eine in sich sehr heterogene Gruppe an...
C: ja, so vielfältig diese Gruppe intern auch sein mag, dann kann man trotzdem klar sagen, die kommen im Stadttheater so gut wie nicht vor, weder in der Institution noch im Publikum.
T: Ist das der ursächliche Grund der Aufstände der letzten Tage? 
C: Mitunter ja. Und das ist auch aus dem Rundbrief von Tuncay  zu entnehmen. Er kritisiert die dominante Perspektive im deutschen Kulturbetrieb. Das rührt ja eben auf dieser Homogenität innerhalb des Establishments. 

T: Man muss also doch zwischen Bevölkerungsgruppen unterscheiden? 
C: In so einem Fall wäre es Augenwischerei nicht zwischen Gruppen zu unterscheiden. Ich nehme diese Trennung nicht vor, um Leute auszuschließen. Ich nehme die Trennung nur wahr und stelle fest, dass sie als Ausschluss funktioniert. 

T: Eine persönliche Frage: Du machst ja auch immer so ein Theater um Migration und Flucht. Hast du eigentlich ein Problem? 
C: Ich habe kein Problem. Ich arbeite lediglich an der Psychose einer Gesellschaft, die mit einem Teil ihrer Realität und Geschichte nicht umgehen kann. Ich betreibe quasi archäologische Arbeit, ich grabe Dinge aus dem kollektiven Unterbewusstsein. Da wird man schon mal komisch angeschaut von der einen oder anderen. 

T: Finde ich gut. Aber bleiben wir beim Thema: Es mutet beim ersten Eindruck kolonialistisch an, dass ein holländischer Regisseur eingeflogen wird, um das Thema Migration und Flucht in irgendeiner europäischen Stadt theatral zu bearbeiten und der Authentizität halber auch noch Migranten und Flüchtlinge einsetzt und ein Stadtviertel wählt, das alle Klischees bedient. Ist Dries Verhoeven ein Monster? 
C: Er gehört zu meiner Berufsgruppe und da tummeln sich tatsächlich viele Monster rum. Aber Dries Verhoeven ist ein Migrant. Wie könnte er ein Monster sein?! 

T: Dennoch: Sollte der „Weisse“ nicht endlich mal damit aufhören, die Migranten für seine Stücke einzusetzen? 
C: Das wäre eine Zeit lang sicher mal nötig. Aber lass uns doch klarstellen, über wen wir eigentlich reden. Welche Migranten meinst du? 

T: Wenn ich Migrant sage, denke ich an den Migranten, der irgendwo unten in der Hierarchie steht. Ich habe in meinem Soziologiestudium gelernt, dass unsere Gesellschaft hierarchisch aufgebaut ist. Oben steht die wohlhabende Elite, unten der Arbeiter oder der Arbeitslose, also die, die weniger Definitionsmacht und Mitspracherecht haben, und unter ihnen befindet sich ein Großteil der Migranten. Die meine ich, wenn ich von Migranten spreche. Na meine ganzen Verwandten und so... 
C: Ah ok. Das macht alles viel klarer. Du sprichst also nicht vom Franzosen, Holländer oder Isländer. Und wen meinst du, wenn du von dem „Weissen“ sprichst?
 
T: In erster Linie meine ich den Bio-Europäer aus der bildungsbürgerlichen Familie. [= Die ganzen Nasen an den Theaterhäusern. Anmerkung der Redaktion] 
C: Ok. Ich sehe, dein Soziologiestudium hat dich darin geeicht in bestimmten Kategorien zu denken. Und wie sollen wir deiner Meinung nach die Themen Migration oder Flucht bearbeiten? Ich meine, das sind doch hochpolitische Themen, die sehr wichtig sind.  

T: Ein Kulturschaffender hatte die glorreiche Idee, das interessierte Publikum von einer Neuperlacher Gang durch ihre Hood führen zu lassen, mit anschließender Prügelattacke und Ausrauben des Publikums. Ich finde das Konzept ist ein guter Wegweiser: Es muss ökonomisch effektiv und politisch korrekt sein. Das Geld muss von den Wohlhabenden zu den Mittellosen verteilt werden und der Migrant darf kein passiver Zaungast sein, sondern aktiv am Geschehen beteiligt. 
C: Das hört sich gut an. Ich denke Lilienthal, der neue Intendant, wird sehr offen sein für solche Ideen.

T: Wir sollten bei aller Hoffnung nicht vergessen, dass Lilienthal letzlich ein weißer Bildungsbürger ohne Behinderungen und Migrationshintergrund ist! Und ein Mann ist er auch noch. Es ist also Vorsicht geboten.
C: Stimmt. Das alles macht ihn anfällig für die gewohnte Überheblichkeit und Ignoranz der Kulturelite. Wir sollten ihn präventiv aufklären über Ausschlussmechanismen, Barrieren, Rekrutierungstechniken, Definitions- und Repräsentationsmacht, und über den Zusammenhang dieser Sachverhalte. 

T: Aber sicher nicht für Umme! Soweit ich weiß, plant Johan Simons am Ende seiner Intendanz die gesamte Belegschaft der Kammerspiele sicherheitshalber mit nach Holland zu nehmen. Da werden dann genug Ressourcen frei für neue Perspektiven und Positionen im Haus. 

[Rosiger Ausblick. Raucherpause. Fortsetzung folgt.] 


 


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