„Schiffe bauen, damit sie untergehen!“
Der Künstler Antonio Cosentino über die Widersprüche in der Kunst, die Magie der Zeit und das Glück ohne Wecker zu leben.
Letzte Woche kam Antonio Cosentino aus Istanbul nach München und machte sich zusammen mit seinen Künstlerkollegen aus der Türkei und diversen Kunsterzeugnissen in der Galerie Kullukcu breit. Cosentino ist der armenisch- italienisch- schweizer-türkische Künstler, der seit 2004 immer wieder nach München eingeladen wird, obwohl er kein Wort deutsch spricht.
Bei seiner letzen Ausreise am Münchner Flughafen wurde er in Gewahrsam genommen, weil der Bundesgrenzschutz seinem Kollegen mit Bin-Laden-Bart einen Visadelikt unterstellte. Cosentino ist der Typ, der den jungtürkischen Führer Cemal posthum beim Metzger abgegeben und die Nachbarschaft seines Ateliers in Karaköy verdorben und vor Hunderten von Zuschauern seine Meinung über die verlogene Geschichtsschreibung des türkischen Staates ausgesprochen hat, während die Paramilitärs nur so kochten. Und dann wurde er noch in der Goethestraße 30, München, zum Import-Exportschlager des Jahres 2011 gewählt.
Um euch darauf aufmerksam zu machen, dass die von Antonio Cosentino kuratierte Ausstellung noch bis Ende Oktober in der Galerie Kullukcu läuft, habe ich Antonio dazu überredet, sich mit mir über Gott und die Welt zu unterhalten. Bei der zweistündigen Autofahrt quer durch München, führten wir das folgende Gespräch.
Antonio, du wirkst so entspannt. Sollte eine Geschäftsreise nicht stressiger sein?
Doch, ich habe gestern den ganzen Tag in der Galerie verbracht und zusammen mit anderen Helfer_innen die Bilder und Installationen aufgestellt. Einige Arbeiten mussten technisch verkabelt oder an der Decke angebracht werden. Zum Glück hatten wir einige Flaschen Raki zur Entspannung bei der Ausstellungeröffnung am Abend.
Seit der Gruppenausstellung „falsche Welt“ (2004) im Münchner Rathaus, wirst du immer wieder eingeladen, Teile deiner Arbeit in Einzel- und Gruppenausstellungen auszustellen, nicht nur in München. Führst du deine Popularität auf deine Person oder deine Kunst zurück?
Vermutlich spielt beides eine Rolle. Eine gegenseitige Sympathie ist sicher vorhanden. Ich finde die Menschen in Deutschland sehr angenehm und egalitär, vielmehr als das in anderen europäischen Ländern der Fall ist. Deswegen fühle ich mich hier einfach wohl und plane sogar, in naher Zukunft ein Atelier in Deutschland zu beziehen.
Die Kunst, die du machst, hat ein deutscher Journalist als radikal und antizipatorisch bezeichnet. Was meinst du dazu?
[Darf ich Eine rauchen im Auto? Zündet sich eine selbstgedrehte Zigarette an.] Ich nehme die Dinge ernst, in unserer Gesellschaft, in der Türkei. Da kursieren teilweise Ideen und Anschauungen, die mich furchtbar beunruhigen und belasten. Und ich möchte das nicht einfach hinnehmen.
Kannst du konkreter werden?
Wir haben ein allgemeines Bildungsproblem, sei es in der Schule, in der Familie oder im öffentlichen Bereich, in den Medien.
Ein Beispiel, in den meisten Familien werden die Kinder mit zweierlei Maß an Rechten erzogen. Die Jungen dürfen sich (sexuell) ausleben, weil man der Meinung ist, dass das zu ihrer Reifung beiträgt. Während von den Mädchen die häusliche Orientierung abverlangt wird, mit der perversen Begründung, dass das weibliche Geschlecht etwas Heiliges und daher etwas zu Konservierendes, Beschützendes und am besten zu Hause zu Bewahrendes sei. Gleichzeitig kommen im Jahr durchschnittlich 600 Frauen durch Mordanschläge von Männern ums Leben.
Ein anderes Beispiel ist der Geschichtsunterricht an den staatlichen Schulen. Da wird immer noch das Bild von der Unbesiegbarkeit der Türken vermittelt. Die jungen Generationen werden mit den Niederlagen und Fehlern der eigenen Geschichte nicht konfrontiert und sind später nicht in der Lage sachlich zu diskutieren. Die Vergangenheit wird nicht aufgearbeitet und es werden keine Grundlagen, kein diskursiver Raum dafür geschaffen, damit das in Zukunft möglich ist.
Welche Rolle spielt in deinem künstlerischen Schaffen die Herkunft deiner Eltern?
Väterlicherseits habe ich italienische Vorfahren. Aber ich spreche kaum italienisch. Meine Mutter ist Armenierin. Das war nie großes Thema bei uns. Ich bekomme allerdings zu spüren, dass Minderheiten diskriminiert werden. Unsere Gesellschaft leidet unter dem typischen Nationalproblem. Zum Beispiel müssen Minderheiten den Wehrdienst ableisten, können aber keinen Posten beim Staat belegen. Einen Berufssoldaten, der Antonio heißt, lässt das türkische System quasi nicht zu.
>> Ben Türkiye de polis, savcı hakim, asker, rektör, devlet'de herhangi bir işsahibi, hatta Çöpcü bile olamıyorum<<
Wie sollte deine Kunst dem entgegenwirken?
Indirekt. Denn Kunst zu machen, ist für mich eine Lebensform. Es ist eine Absage an das System, das uns viel Bullshit predigt und von den meisten Menschen einfach hingenommen. Sprüche wie „calışan demir ışıldar“ (Eisen, das arbeitet, funkelt) ist eine beliebte Volksweisheit und eigentlich ein Instrument, um die Ideologie des Produktions- und Konsumzwangs aufrecht zu erhalten. Dir wird eine Reihe an Gütern versprochen und dafür musst du deine Person, deine phyische und psychische Arbeitskraft tagtäglich verkaufen. Sobald die Uhr morgens klingelt, marschieren die Menschen los, um ihrem Arbeitgeber zu dienen. Mich dem zu widersetzen ist mein Antrieb für mein künstlerisches Schaffen.
Schaut man sich eine Reihe deiner Werke an, so ist der Bezug zu dem Thema Zeit augenfällig. Welche Rolle spielt Zeit in deinem Leben?
Die Zeit macht fast alles schöner. Antike Möbel, Oldtimer, vergilbte Schwarzweißfotos. Sie sind toll, weil eine bestimmte Zeit vergangen ist, seit ihrer Existenz. Dass Menschen mit der Zeit schlaffe und faltige Haut bekommen, ist natürlich tragisch. Trotzdem hat die Zeit eine magische Wirkung für mich. Sie kann Wunden heilen und Erinnerungen versenken.
Hast du denn viel Zeit oder eher weniger?
Das kommt ja immer darauf an, wie viel Zeit du dir nimmst. Ich nehme mir viel Zeit zum Nichtstun, und gleichzeitig in Kauf, keine Sozialversicherung, kein geregeltes Einkommen und keinen Wecker zu haben. Wenn ich mir Zeit zum Malen oder Basteln nehme, ist es eine Form der Absage an das System: Ich gehe keiner Lohnarbeit nach, produziere nicht für den Massenkonsum und lasse mir von niemandem vorschreiben, wann und wie ich zu arbeiten habe.
Warum tust du so etwas Unvernünftiges?
Wenn ich mich umsehe, dann stelle ich fest, dass die Menschen für bestimmte Wohlstandsgüter das Wertvollste hergeben, was sie haben, nämlich ihre Zeit. Das finde ich erschreckend. Sie lassen sich ihre Zeit von den Arbeitgebern geradezu minutiös bestimmen, einteilen und einfordern. Die Menschen sind mittlerweile schon so diszipliniert, dass sie sich selbst in ihrer „Freizeit“ um Pünktlichkeit bemühen.
>>Ben kimsenin yanında çalışmam, kimseyi de yanımda çalıştırmam, kimseye emir vermem, kimseden de emir almam; ve çalar saatim de olsun istemiyorum<<
Siehst du da Unterschiede zwischen dem Westen und dem Orient, zwischen der Türkei und Deutschland?
In Deutschland hatte ich Probleme mit einer Kuratorin, weil sie einen anderen Umgang mit Zeit hatte als ich. Sie wollte einen festen Zeitpunkt für ein Treffen ausmachen. Ich wollte lediglich einen Zeitrahmen festlegen. Das letztere erscheint mir einfach lebensnäher. Schließlich ist es ist keine Seltenheit, dass man ungeplant einem gebrechlichen Menschen die Einkaufstüten hochtragen helfen muss oder einen lieben alten verschollenen Freund nach Jahren der Trennung zufällig auf der Straße trifft. „Sorry, ich hab einen Termin“ zu sagen, ist da ja wohl vollkommen indiskutabel. Eine gewisse zeitliche Dehnung muss da einfach drin sein.
Gab es denn eine Annäherung zwischen euren Standpunkten?
Wir haben sie schon irgendwie verstanden und versucht ihr entgegenzukommen. Sie fand unseren Umgang vollkommen unnachvollziehbar. Ich glaube, ihr Fazit war, dass es schwer ist mit Türken zusammenzuarbeiten [lacht].
Stimmt es, dass du Zeichenunterricht in deinem Atelier gibst?
Ja. Wobei es mir nicht nur um das Zeichnen geht, sondern um eine ästhetische Erziehung. Es geht mir um die Auseinandersetzung mit dem, was als schön und was als hässlich empfunden wird. Zu Beginn eines Kurses frage ich gerne, was die Teilnehmer_innen hübscher finden, ein Segelboot oder ein Frachtschiff. Die Antwort ist fast immer dieselbe.
Das Frachtschiff?
Das Segelboot.
Wovon lässt du dich am meisten inspirieren?
Vom Nichtstun. Und Ich reise gerne. Vor einigen Monaten bin ich mit Freunden nach Syrien geradelt. Das war noch vor dem Arabischen Frühling. Wir waren 4 Wochen lang unterwegs, haben Damaskus und Aleppo und andere kleinere Orte angesehen. Die Menschen, das Land, es war einfach fantastisch. Damaskus ist eine sehr inspirierende Stadt, sie ist die Metropole der Zukunft.
Fließen die Eindrücke direkt in dein Schaffen ein?
Teilweise ja. Die Reisen in arabische Länder haben meine Neugierde und Faszination für die arabische Schrift wieder geweckt. Da habe ich meine Eindrücke sichtbar in meine Bilder verwoben. Ich denke, dass sich meine Erfahrungen auf unterschiedliche Weise in mein Arbeiten einfließen. Manchmal sind das Nichtstun und die Tatsache, dass nichts entsteht, auch das Ergebnis meiner Eindrücke.
Ein künstlerisches Nichts also? Ist das auch eine Art, sich dem Produktionszwang zu entziehen?
Eine von mir sehr geschätzte Dichterin Ferah Doğan hat mal gesagt „Biz bu gemileri batsın diye yaptık“. Wir haben diese Schiffe gebaut, damit sie untergehen. Das trifft in etwa meine Einstellung zu dem, was ich fabriziere. Wenn ich zum Beispiel merke, dass ich anfange arbeitsam zu werden, weil gerade Aufträge kommen, stelle ich das Arbeiten lieber ein. Ich möchte nicht produzieren, weil Leute meine Bilder kaufen möchten. Ich möchte etwas schaffen, das mein Inneres zum Ausdruck bringt, an die Oberfläche holt; nicht um das Konsumbedürfnis der Menschen zu stillen. Wenn man so will, ist das eine Art des sich Widersetzens.
>>Biz bu gemileri batsın diye yaptık<<
(Ferah Doğan)
Auf eine gewisse Weise möchtest du also nicht funktionieren. Trotzdem bist du mitten in der Kulturindustrie gelandet, hast internationale Ausstellungen usw. Wie geht das zusammen?
Keiner und nichts kann sich dem Markt hundertprozentig entziehen. Auch die Kunst, ganz gleich ob elitär oder nicht, existiert nur innerhalb einer Kulturindustrie. Mir geht es bei meiner Arbeit nicht darum Geld zu verdienen. Ich arbeite nach meinen Bedürfnissen. Andererseits bin ich natürlich Teil der Kulturindustrie. Das muss den Künstler_innen bewusst sein, ohne jede Naivität. Das ist nun mal so. Das Leben wie auch die Kunstwelt sind voller Widersprüche. Das ist für mich kein Grund mit der Kunst Schluss zu machen.
Du kehrst morgen nach Istanbul zurück. Was wirst du als erstes tun, wenn du ankommst?
Tee aufsetzen und anschließend möglicherweise mit unangemeldeten Gästen rumsitzen und schwätzen.
Die Austellung TURBO WORKS in der Galerie Kullukcu, München, läuft bis 29.Oktober 2011. Mit: Inci Furni, Antonio Cosentino, Erdal Buldun, Juan Botella Lucas, Volkan Aslan, Ayhan Hacıfazlıoğlu, Gözde Ilkin
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