Wie Christlich ist unsere Gesellschaft? Ein Buch von Birgit Rommelspacher

Bücherempfehlung


Liebe Bücherwürmer und Leseratten des Migrantenstadl,



heute sei ein Buch empfohlen, das aus der Feder von  Prof. Dr. Birgit Rommelspacher stammt, und nach ihrem frühen Tod (2015) posthum veröffentlicht wurde. Ihre ehemaligen Studierenden schreiben über Birgit Rommelspacher, dass "ihre Analysen, Gedanken und Anregungen breite Wirkung" entalteten, und ihre "mutige Auseinandersetzung mit Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnissen, ihre Pionierarbeit zu Sexismus, Antisemitismus, Rassismus, Antiislamismus und Rechtsextremismus" wegweisend gewesen sind.

So wundert es kaum, dass sie es war, die den Begriff "Dominanzkultur" geprägt hat. Ohne diesen Begriff wäre der Diskurs über die  Postmigrantische Gesellschaft und Dekolonisierung gar nicht mehr denkbar. Und mit ihren Beobachtungen zu antimuslimischen Tendenzen in der Frauenbewegung scheint Frau Rommelspacher ebenso einen wichtigen Nerv unserer Zeit getroffen zu haben. 



In dem Buch untersucht sie, wie säkular eigentlich unsere säkulare Gesellschaft ist. In einer Zeit, in der Deutschland zwar kulturell und religiös immer pluraler wird, erscheint es ihr bemerkenswert, dass die Verortung in einer christlich-abendländischen Kultur immer stärker betont wird. Rommelspacher geht der Frage nach, ob mit der Einwanderung gleichsam eine Re-Christianisierung der Gesellschaft einherging. Ob Deutschland im Grunde gar nicht so säkular sein will, wie es immer behauptet. Und ob der Einfluss der christlichen Religion auf die Politik nicht doch viel größer ist, als man vorgibt; und warum man dennoch unbedingt dran festhalten will, eine säkulare Gesellschaft zu sein.



Ausgehend von der Untersuchung des Erbes der christlichen Kultur in Deutschland, will Rommelspacher letztendlich vor allem auf die Widersprüche und anti-demokratische Effekte unserer Gesellschaft zu sprechen kommen: Diskriminierung von Religionsgruppen in einer christlichen Dominanzgesellschaft, Islamfeindlichkeit, das ambivalente Erbe der Aufklärung und des Christentums sowie die Übersetzung christlicher Dominanz in soziale und wirtschaftliche Strukturen.



Gegenwärtig erscheint mir vor allem das Kapitel "Zum Umgang mit dem Anderen: 'Der' Islam in der christlich-säkularen Welt" hochaktuell. Hier lässt sich nachlesen, welche Funktion die Islamdebatte in Deutschland erfüllt und wie sich das ganz konkret im Leben der Betroffenen niederschägt. Auf der Transcript-Seite werden zu den einzelnen Kapiteln Leseproben angeboten. An dieser Stelle sei eine Leseprobe zum o.g. Kapitel hervorgehoben: 



>> »Der« Islam ist in den letzten Jahrzehnten zum Prototyp des Fremden in der westlichen Welt geworden. Es scheint, als hätten sich die Frontstellungen vom politischen auf das religiöse Feld verlagert, so wie dies Samuel Huntington in den 90er Jahren vorausgesagt hatte. Er prognostizierte in seiner weltweit ein flussreichen Schrift »The Clash of Civilizations«1, dass der bis dahin vorherr

schende Systemgegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus abgelöst werden würde durch die Konflikte zwischen religiösen Kulturkreisen. Und er sagte voraus, dass der Islam dabei in Konfrontation mit dem westlichen Christentum eine entscheidende Rolle spielen werde. Die Geschichte scheint ihm Recht zu geben. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Konflikte nicht einfach als religiöse charakterisiert werden können. So haben beim Terroranschlag am 11. September 2001 die islamistischen Terroristen nicht den Vatikan, sondern die Zentren der wirtschaftlichen und militärischen Macht, das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, angegriffen beziehungsweise zerstört – dies allerdings in Namen des Islam. Es geht also nicht um rein religiöse Konflikte, aber auch nicht um rein säkulare. Dennoch kann man von einer Verschiebung von einer wesentlich politischen Systemkonfrontation hin zu einem religiös konnotierten Gegensatz sprechen. Die Frage ist, was diese Verschiebung bedeutet, vor allem angesichts der Tatsache, dass »der« Westen sich primär als säkular begreift, besonders in seiner europäischen Variante. <<


Das Buch hat insgesamt 446 Seiten und ist in drei Blöcke mit je drei oder vier Kapiteln unterteilt, und damit trotz der Fülle an Text sehr übersichtlich. Obwohl es sich um eine Forschung und also um einen Sachtext handelt, liest sich das Buch äusserst lebendig. Wer sich mit aktuellen Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnissen auseinandersetzt, findet in diesem Buch eine empowernde Forschungsarbeit mit sehr vielen, zentralen Begrifflichkeiten, Beschreibungen, Terminologien und Denkfiguren.

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 Birgit Rommelspacher
Wie Christlich ist unsere Gesellschaft?
Das Christentum im Zeitalter von Säkularität und Multireligiösität 
2017, Transcript Verlag, 446 Seiten
29,90 Euro

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