aktueller bericht aus münchen in fast jambischem prosa versmaß, teil 138




Ich sehe nicht so aus, als wäre ich von Armut betroffen und fühle mich auch nicht so. Aber einiges lässt drauf schließen. Ich habe einen guten Freund gefragt, ob es denn wohl sein könnte, dass ich von Armut betroffen bin. Er war fest überzeugt davon, dass ich von Armut betroffen bin, was mich wiederum enttäuschte, denn wie gesagt, ich fühle mich in keinster Weise arm. Ich trage gerne zerrissen Klamotten, kaputte Schuhe, Seconhhandware, zersauste Haare und so Sachen. Aber das ist halt auch Mode. Die Generation von meinem Vater hätte das noch als Indiz für Armut gesehen. Aber natürlich ist das hier und heute kein Indiz für Armut. Clochard- und Straßenkinderklamotten sind Couture.



Wenn ich anfange mir ernsthaft Gedanken zu machen, über die Formen meiner Existenssicherung, dann wird ziemlich schnell deutlich, dass die Art wie ich wirtschafte, in keiner Weise kostendeckend ist und gewinnbringend schon gar nicht. Ich habe keinen Sinn dafür gewinnbringend zu arbeiten und das wurde mir auch nie beigebracht. Nicht einmal, dass es bedeutsam sein könnte. Meine Eltern haben zwar immer vorbildlich gearbeitet, um Geld zu verdienen, so dass mir der Zusammenhang zwischen Arbeiten und Geldverdienen durchaus klar ist, aber das stellt sich in meinem Beschäftigungsfeld, wie man so schön sagt, da stellt sich dieser Zusammenhang einfach nicht her. Ich dachte mit Bildung kommt Geld. Das ist aber falsch. Meine Eltern glaubten fest, dass mit Bildung Geld kommt. Leider kann ich ihnen das an meiner eigenen Person widerlegen. Früher hat wenigstens noch körperliche Arbeit Geld gebracht. 



Fabrikarbeit in den 60er Jahren, das waren Goldene Zeiten. Als ungelernter Arbeiter hat mein Vater zu seiner Zeit mehr verdient als ich es mir für die nächsten Jahre je vorstellen kann. Und nach Rückkehr aus dem 6 wöchigen Türkeiurlaub hat er dann auch noch gesagt: so jetzt erstmal in aller Ruhe arbeiten gehen und sich von dem ganzen Urlaubsstress erholen. Wie ist das möglich? Ich darf mich den ganzen Tag bilden und bin vollkommen erledigt, schon am späten Nachmittag.



Ich hatte vielmehr Bildungschancen als er, ich habe studiert, ich habe staatliche Förderung erhalten (und mich dennoch hoch verschuldet), ich habe mich auch kulturell gebildet, bin viel rumgereist, beherrsche mehrere Sprachen perfekt, kann mich in unterschiedlichen Milieus bewegen und artikulieren. Und? Ich bin nicht aufgestiegen. Ich bin abgestiegen! Ich habe immaterielles Kapital, das ich nicht in Geld umwandeln kann. Und sitze nun da und schreib in mein Tagebuch.



Meine Überlebensstrategie dieser Tage lautet: Aus der Not mach eine Tugend. Zu wenig Geld führt zu mehr Bewusstsein. Ich kaufe wenig ein. Kein Dach überm Kopf führt zu Reduktion von Eigentum. Nur das Wesentliche zählt. Ich besitze kaum mehr irgendwelche Güter, weder Möbel, noch Geschirr, noch sonstige Wohngegenstände. Einige wenige Objet Trouve sind verteilt in den Kellerabteilen meiner Eltern, von Verwandten und Bekannten und in der Scheune vom Schrebergarten. Alles ist ausgerichtet auf Umzug oder Abriss der Zelte. Das sind wohl die Nachwirkungen meiner geflüchteten Vorfahren. Dafür habe ich aber ein Verständnis von Freiheit. Ich habe nichts, also bin ich! So lässt es sich zumindest geruhsam schlafen.

 



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