CADAVER EYES aus Tel Aviv

Eran Sax von Cadaver Eyes in der a.k.d.k. München, Oktober 2014

Vor drei Wochen hatten wir das aufregendste Konzert des Jahres und die Wenigsten haben das mitgekriegt. Ein Höllenlärm und eine Basswucht sind im Salong der Münchner Kunstakademie derartig sang- und klanglos an der Masse vorbeigegangen, dass man sich fragt, ob München überhaupt noch hört, und wenn ja, auf wen. Ich hätte da einen Vorschlag. Cadaver Eyes, die Zwei-Mann-Noise-Band bestehend aus David Opp und Eran Sax aus Tel Aviv haben Substantielles zu sagen, nicht nur in Sachen Noise-Partitur, sondern auch in Sachen Gesellschaft, oder über das richtige Leben trotz falscher Politik. 10 Tage lang sind Cadaver Eyes auf Tour gewesen und haben 6 Konzerte hinter sich gebracht, in Italien, Frankreich, Schweiz und Deutschland. Kurz vor ihrem Konzert in München kursierte die Einladung im Internet mit einem aussagekräftigen Foto, auf dem ein zerbombtes Haus in Gaza zu sehen war. Es verbreitete sich das Gerücht, dass die Musiker Post-Zionisten seien. Was für eine Seltenheit in Deutschland, insbesondere in München: jüdische Post-Zionisten aus Israel. Tatsächlich stellte sich heraus, dass hier zwei außerordentliche Typen am Start waren, die eine grossartige Performance hingelegt haben. Im Anschluss war einer von beiden, David Oppenheimer, auch noch bereit für ein Gespräch, das ich im Folgenden minutiös transkribiert habe. Lest das Interview und betet Richtung Mekka, dass die Jungs bald wieder kommen.





David, ihr seid den ganzen Oktober auf Tour. Ihr habt in Tel Aviv angefangen und seid dann nach Monza, Lausanne, Napoli, Ravenna und nun in München, und morgen fahrt ihr wieder Richtung Italien nach Bologna. Ihr seid ordentlich im Arsch, oder?
Auch wenn wir so aussehen, wir fühlen uns prächtig. Es macht uns richtig Spaß mit Tingelzügen und Mitfahrgelegenheiten durch Europa zu fahren, irgendwo in stinkenden Buden von Noise-Nerds auf zerfallenen Matratzen zu pennen und jeden Tag billiges Trashfood zu essen.

Hat eure Leidenschaft für diese Krachmusik womöglich etwas mit diesem Lifestyle zu tun?
Was fürn Lifestyle?
Na diesen...
...naja, wir haben keine Kohle und wir sind keine Saubermänner, thats all. 

Apropos Saubermänner. Ein Journalist meinte, in einem eurer Tracks den Klang von zwei Nonnen zu hören, die sich mit einem Basebalschläger anal penetrieren. Wie findest du das?
Auf die Rezeption der eigenen Musik hat man keinen Einfluss, und das ist auch gut so. 

Darf man - angesichts dieser Assoziationen, die Cadaver Eyes bei einigen auslösen- fragen, wer oder was dich musikalisch beeinflusst hat?
Die Störgeräusche von der Vor-, Rückpul- und Skipknöpfe an meinem Kassetten-/CD-Recorder, die Töne am An- und Ausschaltknopf von unserem Wasserskühler; und dann hatte ich noch ein geliebtes Radio und einen Taschenrechner, die ....wenn ich beide Geräte nebeneinander getan habe und Unmengen an Zahlen in die Tastatur gehauen habe und dann noch auf die Cos und Sin Taste, - da hat das Interferenzen verursacht, die einen supergeilen Klang hatten. Damit habe ich stundenlang gespielt.

Das heisst Wasserkühlerknöpfe spielen für Cadaver Eyes eine nicht zu unterschätzende Rolle?

Richtig. Es gibt ja nicht so viele Leute, die sich von Knöpfen inspirieren lassen. Ich habe einige Freunde, mit denen ich so Musik gemacht habe, die sind entweder ausgewandert oder haben mich gelangweilt. Ich habe dann angefangen alleine mit Triggern zu experimentieren und das ziemlich lang, bis ich dann 2001 mein erstes Release herausgebracht habe. Cadaver Eyes war anfangs eine One-Man-Band, bestehend aus mir, bis Zax dann dazugestoßen ist.
Gibt es ein Album oder ein Track, an dem du besonders hängst?
Ja, das Album "no time to haste the acquistition of power overlife", "White Supremacy", "Officer Arrest Man" und natürlich das neue Album "Class Mammal". Ich meine, ich finde auch den Track "Execution" ziemlich gut, wobei gut vielleicht nicht die treffende Bezeichnung ist, weil die Lyrics von dem Track von einer echten Hinrichtung stammen. Ich habe die Aufnahme schriftlich übertragen und ehrlich gesagt, war das ziemlich hart und schmerzhaft für mich, aber ich fand, dass ich irgendwas mit der Sprache, die dort benutzt wird und mit dem Ritual der Hinrichtung an sich, dass ich irgendetwas damit machen muss. Und so ist der Track entstanden und ich hänge einfach dran.

Das ist alles sehr sehr dark. Ich meine, diese Execution-Lyrics und auch der Name Cadaver Eyes. Steckt da irgendein Faible für den Tod dahinter?
Vielleicht hat das was damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin, in einer Region, in der alle paar Jahre Krieg ist. Ich wurde in die 67er hineingeboren, dann kamen die 73er, 82er, 91er und so weiter. Der Großteil im Land ist post-traumatisiert. Als ich 13 war, habe einen Menschen gesehen, der während einer Explosion sein Bein verloren hat, ein guter Freund wurde in den 80ern schwer verletzt, und dann musste ich auch noch drei Jahre in der bescheuerten Armee dienen.

Würdest du sagen, dass Noise für eine oppositionelle Art von Musik steht?
Für mich aufjedenfall. Es richtet sich gegen den Mainstream in allen möglichen Bereichen, sei es Musik oder andere Bereiche der Gesellschaft. Dieses Oppositionelle lebe ich natürlich auch in meinem Alltag, das zeigt sich an meinen politischen Ansichten oder in meiner künstlerischen Auseinandersetzung. Und das kann man auch sehr klar in den Lyrics von Cadaver Eyes erkennen...

Ok, ich muss gestehen, ich habe mir noch nix angehört, außer dem Konzert eben; aber an dem Cover von “Mesarveem Lihyot Covshim” fällt sofort auf, dass ihr irgendwie widerspenstig drauf seid.
Ja danke. Und ja, richtig. Auf dem Cover sieht man das Foto von einem zerbombten Haus in Gaza, das der palästinensische Fotograf Sharif Sarhan gemacht hat.  “Mesarveem Lihyot Covshim” heißt übersetzt "refusing to be occupiers". Das ist die Message.


Cover of Cadaver Eye’s “Mesarveem Lihyot Covshim”, CD-r photograph: Shareef Sarhan, Gaza 2010


Und wie war die Resonanz?
Im engen Umfeld: agreement. Darüber hinaus begnete man uns wie Außerirdischen, was wir gewohnt sind.

Und wie lebt es sich sonst als Oppositioneller in Israel?
Naja, wir tun viel zu wenig. Dennoch, es ist schwierig. Mit manchen Bekannten oder Verwandten kann ich über gewisse Themen nicht reden. Das war auch der Grund, warum ich irgendwann in die USA ausgewandert bin. Ich kam an einen Punkt, an dem ich gespürt habe, dass ich Teil der Besetzung bin, wenn ich dableibe. Die einzige Option war also zu gehen. Ich bin 9 Jahre geblieben.


Krass. Und heute? 
Ich lebe wieder in Tel Aviv, in einem Dunstkreis von Post-Zionisten.  
 

Klingt nach Problemen...
Durchaus, ich saß schon ein paar Mal in militärischen Haftanstalten, falls du das meinst. Das bringt mich natürlich nicht von meinen Überzeugungen ab. Ganz im Gegenteil. Vielleicht war es mal wichtig Zionist zu sein, aber heute ist es an der Zeit, das beiseite zu schieben. Wir sind schon viel weiter. Wir haben vor einiger Zeit zusammen mit Freunden aus Ramallah eine Initiative gegründet, die sich "2 States 1 Home" nennt. Wir werden uns für das Vorhaben einiges einfallen lassen. Man darf gespannt sein. Ende November werden wird das Projekt offiziell aus den Segeln heben.


 @ the University of Haifa. Magen david [Star of David] barrier en·clo·sure, 1.1.2014
Ich bin ja auch künsterlisch tätig. als Maler und Bildhauer oder mache auch mal Installationen.In letzter Zeit habe ich mich viel mit Video-Art beschäftigt und auch dieses Medium eignet sich hervorragend für die politische Auseinandersetzung. Da gibt es zum Beispiel ein Video von mir, in dem ich das Foto von der Soldatin Eden Abergil nachgestellt habe. Auf dem Foto posiert sie als Soldatin vor zwei palästinensischen Häftlingen, denen die Augen zugebunden sind. Dieses Selfie-Foto hat die Soldatin auf ihrem Facebook-Account gepostet und ziemlich kontroverse Diskussion ausgelöst. Ich fand den Akt des Posierens in diesem Kontext ziemlich krank und habe deswegen eine Filmszene inszeniert, die rekonstruiert wie das Foto womöglich zustande kam und welche Haltung hinter diesem Akt des Posierens steckt. Krasserweise wird das Video in der kommenden Woche im Tel Aviv Museum zu sehen sein. Man kann es sich im Übrigen auch im Netz ansehen. 
 
Wow, wie heisst das Video? 
"Re-living the Eden Abergil". Man kann es auf Vimeo finden.
 
Und was sind deine/ eure nächsten Pläne?

Was Cadaver Eyes angeht, haben wir jetzt die Tage eine Aufnahme-Session in Napoli zusammen mit Aspect, das sind Mimo & Mario. Und im Dezember möchten wir auf das Noise-Festival in Itri, einem 10.000 Einwohner-Örtchen in Italien.



 

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